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wieder in Kraft, und so herrschte in ganz Preußen das ständische Prinzip, als die
Gebietserweiterungen im Jahre 1866 erfolgten. Auch die neu erworbenen Provinzen
sollten eine ständische Verfassung erhalten.
Zunächst wurde das Gebiet des vormaligen Königreichs Hannover durch Verord-
nung v. 22. Ang. 1867 (G. S., S. 1349) zu einem provinzialständischen Verbande erklärt
und mit einer Verfassung beliehen, die sich zwar eng an die der alten Provinzen
anschloß, jedoch in einzelnen Punkten bereits den neueren Verhältnissen mehr Rechnung
trug. Der Provinziallandtag bestand aus den drei Ständen der Großgrunbbesitzer,
Städte und Landgemeinden, an seiner Spitze stand der auf die Dauer je einer Sitzung
vom Könige ernannte Landtagsmarschall (oder der Stellvertreter desselben) und ihm gegen-
über als beaufsichtigendes Organ der Oberpräsident, welcher kompetenzwidrige oder das
Staatswohl verletzende Landtagsbeschlüsse beanstanden und dem Minister zur Entscheidung
vorlegen konnte. Der Geschäftskreis des hannöverschen Landtages sollte derselbe sein wie
der der altpreußischen Provinziallandtage: Beschlußfassung über kommunale Provinzial-
angelegenheiten und Verwaltung und Vertretung der provinzialständischen Institute und
Vermögensrechte; dazu kam aber noch die wichtige Befugnis, im Interesse der Provinz
Lasten zu Übernehmen und deren Aufbringung durch die Provinzialangehörigen zu
beschließen.
Eine von den Vorschriften der älteren Provinzialordnungen abweichende Regelung
erfuhr hier die unter Aufsicht des Oberpräsidenten zu führende laufende Verwaltung des
ständischen Vermögens und der ständischen Anstalten, welche deshalb besonders erwähnens-
wert ist, weil sie sich in Hannover im wesentlichen noch bis heute erhalten hat und
auch in die anderen neuen Provinzialordnungen ihren Grundzügen nach übergegangen
ist. Nachdem auch hier die Provinzialstände zunächst nur ermächtigt waren, geeignete
Personen zu dieser Verwaltung zu wählen, wurde durch ein Allerhöchst unterm 1. Nov.
1868 genehmigtes Regulativ ein dauernder „ständischer Verwaltungsausschuß“" eingesetzt.
Dieser sollte aus dem jedesmaligen Landtagsmarschall als Vorsitzendem und zwölf vom
Landtage aus seiner Mitte — und zwar je vier aus jedem Stande — zu wählenden
Mitgliedern bestehen und die Verwaltung nach den Beschlüssen des Landtages und den
von diesem aufgestellten Etats führen. Ferner wurde zur Besorgung der laufenden Ge-
schäfte ein „Landesdirektorium“ bestellt, welches aus drei besoldeten, auf zwölf Jahre
vom Landtage gewählten Oberbeamten bestand, und dessen Vorsitzender, der „Landes-
direktor", der Bestätigung des Königs bedurfte. Das Landesdirektorium führte nach
kollegialischer Beratung und Beschlußfassung die laufenden Geschäfte der Kommunalover=
waltung unter Aufsicht des Ausschusses, bereitete dessen Beschlüsse vor und trug für
ihre Ausführung Sorge, es vertrat den Provinzialverband nach außen und verhandelte
in seinem Namen mit Behörden und Privatpersonen. Endlich konnten auch noch zur
Verwaltung ständischer Anstalten besondere Kommissionen bestellt, sowie Bureau-, Kassen-
und technische Beamte vom Provinziallandtage angestellt werden.
Ebenso wurden die provinzialständischen Verhältnisse in der Provinz Schleswig-
Holstein geregelt, welche durch Verordnung v. 22. Sept. 1867 (G. S., S. 1587) zum
provinzialständischen Verbande erhoben wurde. Diese Verordnung hatte, abgesehen von
einzelnen abweichenden Bestimmungen über die Zusammensetzung des Provinziallandtages,
denselben Inhalt wie die Verordnung v. 22. Aug. 1867.
Anders in Hessen-Nassau: diese Provinz wurde nicht zu einem provinzialstän-
dischen Verbande erhoben, sondern mit Ausschluß des Stadtkreises Frankfurt a. M. durch
die Verordnungen v. 20. und 26. Sept. 1867 (G. S., S. 1537 u. 1659) in zwei kom-
munalständische Verbände, den des Regierungsbezirks Wiesbaden und den des Regierungs-
bezirks Kassel, getheilt. Jeder Verband erhielt einen Kommunallandtag, welcher nach
ständischen Prinzipien zusammengesetzt war. Für den Verband des Regierungsbezirks
Kassel wurde auf Grund des durch Allerhöchsten Erlaß v. 11. Nov. 1868 genehmigten
Regulativs auch ein ständischer Verwaltungsausschuß und ein Landesdirektor wie für den
hannöverschen Provinzialverband eingesetzt. Die Befugnisse dieser beiden Kommunal=
landtage deckten sich im wesentlichen mit denen des hannöverschen und schleswig-holstein-
schen Provinziallandtages, besonders war ihnen auch das Recht eingeräumt, im Interesse
des Verbandes Ausgaben und Leistungen zu übernehmen und die Art und Weise ihrer
Aufbringung zu beschließen.