32 Zweiter Abschnitt. (F. S.)
wurde gestattet, diese mit der revidierten zu vertauschen, von welchem Rechte jedoch nur
drei Städte: Königsberg i. N.-M., Wendisch-Buchholz und Kremmen, Gebrauch gemacht
haben. 1 ·
8. 8.
V. Die französische Gesetzgebung und ihr Einfluß auf das deutsche Städterecht.“
I. Die französische Gesetzgebung, welche wegen der nachhaltigen Bedeutung, die sie
für viele deutsche und speziell auch für gegenwärtig preußische Rechtsgebiete gehabt hat,
kurz zu erörtern ist, hat, wie bereits angedeutet, entgegengesetzte Prinzipien verfolgt wie
die preußischen Städteordnungen von 1808 und 1831.
In Frankreich huldigte man bei der Gemeindegesetzgebung schon seit Ludwig XIV.
dem Grundsatze, die Gemeinden durch staatliche Behörden zu verwalten, ihre Selbstän-
digkeit möglichst zu vernichten und jeden Unterschied in der Rechtsstellung zwischen Stadt-
und Landgemeinden zu beseitigen. Nur vorübergehend konnte die Revolution ein auf
der Volkssouveränetät beruhendes System einführen. — Die Verfassung von 1795 ging
sogar so weit, allen kleineren Gemeinden ihre selbständige Existenz zu entziehen und sie zu
Kantonalmunicipalitäten zu vereinigen; Napoleon gab einzelnen Gemeinden ihre Selbst-
ständigkeit zwar wieder, reorganisierte die durch die Revolution aufgelösten Gemeinde-
verfassungen aber im allgemeinen nach den alten französischen Grundsätzen.
Nach der Konsulatsverfassung v. 24. Dez. 1799 und noch mehr nach dem Gesetz
v. 17. Febr. 1800 (28 Pluviose VIII), welches die Stürme der verschiedenen Revo-
lutionen überdauert hat und in den meisten prinzipiellen Punkten noch heute die Grund-
lage des in Frankreich geltenden Gemeinderechts bildet, war die Gemeinde (die Stadt-
wie die Landgemeinde) lediglich ein staatlicher Verwaltungsbezirk, „dessen korporative
Gestaltung nur dazu diente, die Kosten der örtlichen Verwaltung aufzubringen“.“ An
der Spitze jeder Gemeinde stand ein vom Staate ernannter Einzelbeamter, der Maire;
in seinen Händen konzentrierte sich die ganze Lokalverwaltung; er bekleidete seine Stelle
zwar als unbesoldetes Ehrenamt, war jedoch völlig abhängig vom Präfekten und konnte
jederzeit durch einfachen Verwaltungsbefehl des Präfekten suspendiert oder seines
Amtes entsetzt werden. Einen kollegialischen Gemeindevorstand gab es nicht. Zur Hilfe-
leistung wurden dem Maire Adjunkten beigegeben, deren Anzahl sich nach der Bevölke-
rungsziffer richtete und deren Ernennung und Absetzung nach den für den Maire selbst
geltenden Grundsätzen erfolgte. Als beratendes Organ wurde dem Maire ein Gemeinde-
rat zur Seite gestellt, dessen Mitglieder gleichfalls staatlich ernannt wurden und abge-
setzt werden konnten. Die Kompetenz des Gemeinderats war eine äußerst beschränkte,
nur einmal jährlich sollte er sich zu einer ordentlichen Sitzung von höchstens 14 Tagen
versammeln, um über Vermögensangelegenheiten der Gemeinde Beschluß zu fassen;
außerordentliche Versammlungen bedurften der Genehmigung des Präfekten. Die ganze
Vermögensverwaltung unterstand der unmittelbaren Leitung des Präfekten. Er hatte
1 v. Rönne und Simon, S. 44. 1890), S. 1226 ff.; bning, Verwaltungs-
: Die eingehendste Darstellung der französi= recht, S. 148 ff.; Blodig, Selbstverwaltung,
schen Gemeindeverwaltung enthält: O. Mayer,
Theorie des französischen Verwaltungsrechts
(Straßburg 1886). Daselbst zahlreiche Angaben.
aus der französischen Litteratur. Vgl. auch
Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. II
(2. Aufl., Freiburg 1895), S. 12 ff.; Reitzen-
stein, Kommunales Finanzwesen (2: Frank-
reich), und G. Meyer, Die Bebördenorgani-
sation (III.: Die Behördenorganisation Frank-
reichs), in Schönbergs Hdbch. der politischen
Okonomie, Bd. III (3. Aufl., Tübingen 1891),
S. 634 ff., §§. 10, 11, S. 836 ff., 86. 18, 21,
23 u. 26; E. Meier, Verwaltungsrecht, in
Holtzendorffs Encyklopädie (5. Aufl., Leipzig
S. 82 ff., 146, 198 ff.
2 Die Weiterentwickelung der französischen
Municipalverfassung bis auf die Gegenwart
kann hier nicht erörtert werden, sie ist für die
deutschen Verhältnisse ohne Bedeutung geblie-
ben. Vgl. über dieselbe die in der voran-
gehenden Anm. citierte Litteratur.
* Vgl. auch Leroy-Beaulieu, L'admini-
stration locale en France et en Angleterre
(Paris 1872), S. 86, 87: „La vie municipale
se trouvait étouffé par un systeme on les
magistrats et les conseillers locanx étaient
les mandataires, non de leurs concitoyens,
mais du chef de I’Etat.“