Ortsgemeinden; geschichtliche Entwickelung ber Ortsgemeinden. (8. 8.) 33
den Gemeindehaushaltsetat zu genehmigen, konnte eingestellte Ausgaben nach freiem Er-
messen streichen, fehlende Posten zwangsweise einstellen und zur Deckung solcher Ausgaben
selbst die Erhebung von Gemeindesteuern anordnen. Kurz das Gemeindevermögen wurde
als ein Teil des Staatsvermögens behandelt.
II. Diese französische Gemeindeverfassung wurde durch die Eroberungen Napoleons
auf deutschen Boden verpflanzt. Sie wurde nicht nur in die Frankreich selbst einver-
leibten deutschen Gebietsteile, sondern auch in die neubegründeten französischen Vasallen-
staaten und sogar in andere deutsche Rheinbundstaaten eingeführt. Hier kommen nur
diejienigen Territorien in Betracht, welche später ganz oder teilweise dem preußischen
Staate einverleibt wurden. Von diesen erhielten das aus Braunschweig, Kurhessen, aus
vreußischen, hannoverschen und sächsischen Gebietsteilen gebildete Königreich Westfalen
durch Dekret v. 11. Jan. 1808, das Großherzogtum Berg durch Gesetz v. 18. Dez.
1808, das neugeschaffene Herzogtum Warschau, zu welchem Teile der jetzt preußischen
Provinzen Posen und Westpreußen gehörten, im Jahre 1809, das Großherzogtum
Frankfurt durch Verordnung v. 27. Okt. 1810 — Gemeindeverfassungen nach fran-
zösischem Muster. In dem Herzogtum Nassau wurden noch durch Edikt v. 5. Juni
1816 und im Großherzogtum Hessen durch Gesetz v. 30. Juni 1821, also noch nach
den Befreiungskriegen, französische Gemeindeverfassungen mit nur geringen Modifikationen
eingeführt.! Endlich huldigte auch Bayern im Anfange dieses Jahrhunderts französischen
Grundsätzen: durch das Gemeindeedikt v. 24. Sept. 1808, welches sich auf Stadt-
wie Landgemeinden gleichmäßig bezog, nahm man hier den Gemeinden die letzten Reste
der Selbständigkeit und machte sie zu einfachen staatlichen Verwaltungsbezirken.2
III. Die Lebensdauer dieser französischen Gemeindeverfassung in Deutschland war
in den einzelnen Gebieten eine verschiedene.
1) In Hannover und Kurhessen wurden mit der Befreiung von der Fremdherr=
schaft die früheren Verhältnisse wiederhergestellt. In Hannover lebten die Städte wieder
wie in älteren Zeiten, eine jede nach ihrer besonderen Verfassung. Die Verfassung der
Landgemeinden wurde fast ausschließlich durch das Herkommen bestimmt, nur einzelne
Gegenstände des ländlichen Gemeinderechts hatten eine gesetzliche Regelung erfahren, so
besonders das Niederlassungsrecht und die Gemeindeangehörigkeit.) Erst Mitte dieses
Jahrhunderts ging man hier an eine einheitliche Regelung des Gemeindewesens. Nach-
dem das hannoversche Staatsgrundgesetz v. 26. Sept. 1833" und das Landesverfassungs-
gesetz v. G. Aug. 1840 # hierfür einige leitende Gesichtspunkte aufgestellt und das Ver-
sassungsgesetz v. 5. Sept. 1848“ den Gemeinden eine möglichst große Unabhängigkeit
zugesichert hatte, wurden nach preußischem Muster die Verhältnisse von Stadt und Land
durch besondere Gesetze geregelt, nämlich durch die Städteordnung v. 1. Mai 18517
und die Landgemeindeordnung v. 4. Mai 18528, die unmittelbaren Vorgänger der beiden
heute geltenden hannoverschen Gemeindegesetze. Die Städteordnung von 1851 schloß
sich auf das engste an die preußischen Städteordnungen von 1808 und 1831 an.
Dasselbe that die sie demnächst ersetzende revidierte Städteordnung v. 24. Juni 18587;
diese stellt von allen geltenden Gemeindegesetzen am reinsten die alten preußischen Grund-
sätze der Städtefreiheit dar, während die neueren preußischen Städteordnungen nicht ganz
frei geblieben sind von französischen Einflüssen.
In Kurhessen hatten die Städte vor der Fremdherrschaft gleichfalls keine einheit-
liche Verfassung, die Verhältnisse der Landgemeinden waren hier dagegen bereits durch
eine Verordnung v. 6. Nov. 1739, die sogen. Greben-Ordnung, umfassend geregelt
1 v. Maurer, IV, S. 312; Gierke, I, ländlichen Grundbesitzes in Niedersachsen und
S. 712, Anm. 2. Westfalen (Jena 1851).
: Seydel, I. S. 121 ff., II, S. 5 ff.; Pötzl, 4 Hann. G. S., Abt. 1, S. 279.
Lehrb. des bayerischen Verfassungsrechts, III 5* Hann. G. S., Abt. I, S. 141.
(5. Aufl., München 1877), S. 245 ff.; Löning, " Hann. G. S., Abt. I. S. 261.
S. 149. 7? Hann. G. S., 1351, Abt. I, S. 63.
: Durch die alte hannoversche Domizilord- s Hann. G. S., 1852, Abt. II, S. 3.
nung vom 6. Juli 1827. Vgl. Stüve, Wesen ° Hann. G. S., 1858, Abt. I, S. 141.
und Berfassung der Landgemeinden und des
Schoen. 3