Ortsgemeinden; geschichtliche Emwickelung der Ortsgemeinden. (F. 11.) 49
Jahre eingezogene Bauernhöfe durch die Einziehung ihre rechtliche Qualität nicht ver-
ändert hätten, daß sie nicht Teile des Vorwerkslandes geworden, sondern. Bauernhufen
bezw. -höfe geblieben seien. Als Bauernhufen gehörten sie aber nach wie vor zur Dorf-
feldmark und blieben in dieser beitragspflichtig. Diese Vorschriften sind noch heute
von praktischer Bedeutung: die Besitzer selbständiger Gutsbezirke, zu welchen nach den
Normaljahren Bauernhufen eingezogen worden sind, unterliegen hinsichtlich dieser
sogen. wüsten Hufen der Gemeindeabgabenpflicht in derjenigen Landgemeinde, welcher
die Hufen rechtlich zugehören — sofern sie nicht nachweislich in einem formellen Ver-
fahren durch besonderen Akt der Staatsbehörden von der Landgemeinde losgetrennt und
dem Gutsbezirk einverleibt worden sind.1
Durch das allgemeine Edikt v. 12. Aug. 17492 wurde das Verbot des Einziehens
von Bauernstellen auf die übrigen Provinzen ausgedehnt. Nach Emanation dieses
Ediktes konnten also mit demselben im Widerspruch stehende Einziehungen von Bauern-
hufen zu den Vorwerken nirgends mehr die rechtliche Wirkung haben, daß dadurch bäuer-
liches Land in Vorwerksland verwandelt wurde.?
Endlich ergingen im Jahre 1764 zwei allgemeine Edikte wegen Bebauung und
Besetzung der wüste gewordenen und zu Vorwerken eingezogenen Höfe und ücker, das
erste unterm 5. Juli für Schlesien, das zweite unterm 12. Juli für die übrigen
Provinzen.“ Diese ordneten unter Festsetzung der Normaljahre 1723 bezw. 1740,
welche hinsichtlich der Zahl, der Qualitäts und des Umfanges der in jedem Dorfe vor-
handen gewesenen Bauernstellen maßgebend sein sollten, an, daß alle seit dem betreffenden
Normaljahre wüste gewordenen oder eingezogenen Höfe neu besetzt und bei jedem künftigen
Freiwerden wieder ausgeliehen werden sollten. Für Ostpreußen wurden die Edikte
v. 12. Aug. 1749 und v. 12. Juni 1764 einstweilen suspendirt und erst durch Verordnung
v. 31. Mai 1806 in Kraft gesetzt; als Normaljahr sollte hier das Jahr 1772 gelten.
Dasselbe Jahr wurde als Normaljahr für die erst 1772 erworbenen Gebietsteile West-
1 Vgl. O. B. G., II, S. 137, XII, S. 163
(Schlesien); XX, S. 140 (Brandenburg); VIII,
S. 101 (Pommern). Die Heranziehung der
Gutsbesitzer zu den Gemeindelasten in den be-
treffenden Landgemeinden bietet keine Schwierig-
keiten, soweit die örtliche Lage der „wüsten
Hufen“ heute noch festgestellt werden kann,
anders wo, was häufig der Fall, dieses nicht
mehr möglich ist. Hier kann nur das Ver-
hältnis dieser wüsten Hufen, sofern ihre Zahl
jeststeht, zu der Gesamtzahl der vorhandenen
bäuerlichen Hufen die Grundlage für die Heran-
ziehung des Besitzers der ersteren bilden. O. V. G.,
II. S. 145. Neuerdings hat die L. G. O. ö. und
die L. G. O. schlesw. holst. besondere Vorschriften
hierüber ausgenommen. Dieselben bestimmen in
#§. 28: Besitzer selbständiger Güter, welche für
ursprünglich bäuerliche, zu ihren Gütern ein-
gezogene, der örtlichen Lage nach aber gegen-
wärtig nicht mehr erkennbare Grundstücke (wüste
Hufen) der Gemeindeabgabenpflicht in einer Land-
gemeinde unterliegen, haben die von ihnen bisher
entrichteten Gemeindeabgaben und Lasten in dem
Betrage, wie derselbe sich in dem Durchschnitte
der letzten fünf Jahre vor dem Inkrafttreten des
egenwärtigen Gesetzes unter Weglassung des
öchpen und niedrigsten Jahresbetrages berechnet,
entweder fortzuleisten oder durch Zahlung des
zwanzigfachen Jahreswertes dieses Betrages ab-
zulösen. Im Falle des Streites ist zum Zwecke
einer billigen Ausgleichung eine Auseinander-“
setzung vor dem vorgeschrieben. Vgl.
dazu Anw. III zur L. G. O. ö. v. 29. Dez.
1891,. B. II, 3; Freitag, Komm. zur L. G. O. ö.
(Breslau 1892), S. 145 ff.
Schoen.
:2 Mylius, C. C. M., Tl. VII, Cont. 1V,
S. 181, Nr. LXXVI. -
2 O. V. G., VIII, S. 104 (Pommern). Da ein
Normaljahr nicht angegeben ist, muß der Tag der
Publikation als der für den Mindestumfang d.Land-
gemeinden maßgebende gesetzliche Zeitpunkt gelten.
* Mylius, JN. C. C., III. S. 449, Nr. 42.
Diese die Wiederbesetzung gewisser Stellen
mit Bauern anordnenden Edikte sind zu unter-
scheiden von den bisher behandelten, welche die
Einziehung von Bauernhufen zum Ritter-
gut untersagten. Beide Arten von Edikten
setzten Normaljahre fest: Bauernhufen, die nach
den in letztgenannten Edikten bestimmten Normal-
jahren eingezogen waren, blieben zwar rechtlich
bei der Gemeinde und in dieser kommunalsteuer-
pflichtig, brauchten deshalb jedoch nicht wieder
mit Bauern besetzt zu werden; Bauernhufen
dagegen, die nach den in den Edikten v. 5. bezw.
12. Juli 1764 bestimmten Normaljahren ein-
gezogen waren, mußten wieder ausgethan werden.
* Die bäuerlichen Stellen zerfielen meistens in
Bauern--, Kossäthen= und Häusler-(auch Käthner-
oder Büdner-) Stellen. Die Bauern, unter
welchen wieder Voll-, Halb-, Viertelbauern u. s. w.
unterschieden wurden, waren die mit Acker auf
der Feldflur angesessenen spannfähigen Besitzer.
Die Kossäthen waren kleinere Grundeigentümer,
deren Besitzungen meistens nicht auf der Flur,
sondern in den die Bauernhöfe und den Herren-
hof umgebenden Feldgärten lagen. Häusler
wurden diejenigen genannt, welche außer dem
Wohnbhause und dem Hausgarten, nur noch
weniges Wurtland besaßen, das zur Ernährung
einer Familie nicht hinreichte.
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