Ortsgemeinden; geschichtliche Entwickelung ber Ortsgemeinden. (8. 13.) 53
sollte es im ganzen Staate nur freie Leute geben, für welche aber alle Verbindlichkeiten,
die ihnen bisher vermöge des Besitzes eines Grundstückes oder vermöge eines besonderen
Vertrages oblagen, also besonders die auf den Rustikalgrundstücken haftenden gutsherr-
lichen Dienste, Lasten und Abgaben, in Kraft bleiben sollten.
Hieran schloß sich das Edikt v. 14. Sept. 1811, betreffend „die Regulierung der guts-
herrlichen und bäuerlichen Verhältnisse“ (G. S., S. 281), mit der Deklaration v. 29. Mai
1816 (G. S., S. 154), wodurch den Bauern die Freiheit des Eigentums gegeben
wurde. Die Naturaldienste konnten sie ablösen und ihre Höfe, an denen sie bisher nur
Nutzungsrecht hatten, erhielten sie gegen Hingabe eines Teiles der Besitzung, gegen eine
Geldentschädigung oder gegen Rentenübernahme zu freiem Eigentum. Hiermit war die
Festlegung der Gemeindegrenzen gegeben. „Fortan trat das Eigentum der bäuerlichen
Gemeinde dem Eigentum des Gutsherrn gegenüber, es entstanden Grenzen zwischen
Gemeinde= und Gutsbezirk.“ 1 Dieser bestand nunmehr aus dem Lande, das stets
im herrschaftlichen Besitze gewesen, und aus der Abfindung, welche bei der Regulierung
dem Gutsherrn zugefallen war, nunmehr Bestandteil des bereits vorhandenen Vorwerks-
landes wurde oder in dessen Ermangelung für sich allein den Gutsbezirk bildete und mit
Vollziehung der Regulierung aus dem Verbande der Landgemeinde ausschied.) Den
Gemeindebezirk dagegen bildete das den Bauern bei der Regulierung verbliebene oder
neu zugewiesene Land. Darüber aber, welche kommunale Eigenschaft Gutsparzellen hatten,
die vom Gutsherrn nach der Regulierung verkauft wurden, enthielt das Edikt wie die
Deklaration keine Bestimmung, und es ist dieser Fall daher auch in der Praxis verschieden
behandelt worden?, bis er im Armenpflegegesetz v. 31. Dez. 1842 (G. S., S. 8) seine
Erledigung fand.
Dieses Gesetz übertrug die Fürsorge für die Armen den politischen Gemeinden
und stellte diesen die Gutsherrschaften, deren Güter sich nicht in dem Gemeindeverbande
befanden, gleich; sie sollten für diejenigen Armen sorgen, welche sich in dem „Guts-
bezirke““ und auf den vom Gute zu Eigentums-, Erbpachts= oder Zinsrechten veräußerten
Grundstücken befanden. Damit wurde der Gutsbezirk zum erstenmal als Träger öffent-
lich-rechtlicher Verpflichtungen, als ein der Gemeinde gleichstehendes kommunales Gebilde
behandelt. Gleichzeitig wurde — und diese Vorschrift ist noch heute von praktischer Be-
deutung — behufs Beseitigung der endlosen Grenzstreitigkeiten der Satz aufgestellt, „daß
die von den Rittergütern u. s. w. abgezweigten Grundstücke, soweit solche vor Publikation
dieses Gesetzes ohne Widerspruch der Beteiligten zu der Dorfgemeinde übergegangen oder
als zu derselben gehörig behandelt worden sind, bei letzterer auch fernerhin verbleiben
sollen ". Damit waren alle Zweifel und Streitigkeiten über die kommunale Qualität
dieser Gutsparzellen beseitigt; sie gehörten von jetzt ab auch rechtlich zur Landgemeinde,
sofern sie vor dem 31. Jan. 1843“ nur thatsächlich ohne Widerspruch des Gutsherrn
und der Gemeinde mit dieser vereinigt gewesen waren. — Eine analoge Anwendung
1 O. V. G., II, S. 120, 164; V, 120. Diese Borschrift ist ausdrücklich aufrecht erhalten
:„ O. V. G., XX, 134; V. 149: VI, 89. purch das Ausf. Ges. z. Unterstützungswohnsitzge-
Bgl. die folgende Anm. 4. setz v. 8S. März 1871, welches in §. 74 bestimmt:
2 O. B. G., II, S. 121.
* In diesem Gesetze findet sich auch zum
erstenmal das Wort „Gutsbezirk“ als Bezeich-
unng für die außerhalb des Gemeindeverbandes
stehenden Güter der Gutsberrschaften. O. V.
G., XXI, S. 119; XXII, S. 101.
Aus diesem Satze, welcher im Staatsrate
bei den Beratungen des Gesetzes v. 31. Dez.
1842 formuliert wurde, entstand §. 6, Z. 3
dieses Gesetzes, wonach eine Verpflichtung der
Gutsherrschaft für die auf Trennstücken des
Inabesondere treten außer Kraft:
1).
a) Das Gesetz über die Verbflichung zur
Armenpflege v. 31. Dez. 1842 (G. S. 1843,
S. 8) mit der Maßgabe,
daß die im §. 6 unter 3 dieses Gesetzes er-
wähnten, zur Zeit der Verkündigung des-
selben bereits in Ausführung gekommenen
Beränderungen von Gemeindebezirken nach wie
vor als rechtsbeständig zu betrachten sind.
Noch heute gehören rechtlich zu einer Ge-
Gutes wohnenden Armen nicht eintritt, „wenn
die Vereinigung der Trennstücke mit der Ge-
meinde schon vor der Publikation des Gesetzes,
zwar ohne ausdrückliche Zustimmung der Ge-
meinde und ohne Genehmigung der Landes-
polizeibehörde, jedoch ohne Widerspruch der Be-
teiligten wirklich in Ausführung gekommen ist“.
meinde die in F. 6, Z. 3 des Ges. v. 31. Dez.
1842 bezeichneten Trennstücke von Rittergütern,
wenn sie nicht später durch einen bftenelich-r
lichen Akt von derselben abgetrennt sind. O.
B. G., II, S. 122 ff.
* Dieses war der Tag der Publikation des
Ges. v. 31. Dez. 1842.