Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

72 Zweiter Abschnitt. (8. 17.) 
ausführung der Gesamtpersonen einer rechtlichen Regelung und ihre Handlungsfähigkeit 
einer rechtlichen Begrenzung unterworfen hat. 
Danach gilt als Wille der Gemeinde nur derjenige Entschluß, welcher durch die 
gesetzlich oder statutarisch zur Willensbildung berufenen Organe gefaßt ist. Berufen 
hierzu ist in erster Linie die Gemeindevertretung oder, wo sie noch existiert, die Ge- 
meindeversammlung! als oberstes Organ, in Gemeinden mit kollegialem Gemeinde- 
vorstande aber nach dem Systeme des Dualismus?, dieser in Verbindung mit der Ge- 
meindevertretung; erst die übereinstimmenden Beschlüsse dieser beiden Organe repräsentieren 
bier die Willenserklärung der Gemeinde, der Beschluß eines derselben erscheint nur als 
ein Element für die Willensbildung der Gemeinde. Als Ausführungen eines Gemeinde- 
willens gelten nur die, aber auch alle die Handlungen, welche von den gesetzlich oder 
statutarisch berufenen Exekutivorganen innerhalb ihrer Kompetenz vorgenommen werden. 
Diese sind die verschiedenen Gemeindebeamten, vornehmlich aber der Gemeindevorstand; 
in ihm „konzentriert sich die Funktion der Willensausführung“. 
« Die Willens- und Handlungsfähigkeit der Gemeinde findet ihre naturgemäße Be— 
grenzung in ihrer Rechtsfähigkeit; es versteht sich von selbst, daß die Gemeinde Rechte 
und Pflichten, deren sie überhaupt nicht fähig ist, auch nicht erwerben kann, während 
es ebenso selbstverständlich erscheint, daß man im Zweifel die Gemeinde zu allen den 
Handlungen zulassen muß, durch welche sie die Rechte und Pflichten, deren sie fähig 
ist, sich aneignen bezw. übernehmen kann. Allein letzteres ist nicht der Fall. Ein 
rechtswirksames Wollen und Handeln steht der Gemeinde nur innerhalb ihrer vom 
Rechte anerkannten Lebenssphäre zu, welche sich aus ihrem gleichfalls durch zahl- 
reiche Normen rechtlich fixierten Lebenszwecke ergiebt. Ist der Gemeinde, wie anderen 
juristischen Personen, die Rechtssubjektivität nicht als „Selbstzweck“, sondern als „Mittel 
für den Gesamtzweck“ ihres „eigenen Daseins“ gewährt", so darf sie von derselben 
auch nur zur Verwirklichung des letzteren Gebrauch machen. Beschlüsse der willens- 
bildenden Organe, welche über die Grenzen dieser rechtlich anerkannten Lebenssphäre 
hinausgehen, können daher rechtlich überhaupt nicht als Willenserklärungen der Ge- 
meinde gelten.“ 
Die Willens= und Handlungsfähigkeit der Gemeinden ist aber noch weiter beschränkt 
durch ihre Unterordnung unter den Staat. Die Gemeinden sollen auch innerhalb ihrer 
Lebenssphäre nicht alles thun und lassen können, was und wie sie es wollen, sondern 
sie sind als Selbstverwaltungskörper auch verpflichtet, alles zu thun, was zur Erfüllung 
ihres Lebenszweckes notwendig ist. Daher hat der Staat ihre Aktionen in vieler Be- 
ziehung seiner Aufsicht unterworfen. Diese ist enger oder weiter, je nachdem der 
Staat nur die Prüfung der Rechtmäßigkeit oder auch die Prüfung der Zweckmäßigkeit 
eines Verhaltens der Gemeinde für sich beansprucht. Ersteres ist in dem heutigen 
Rechtsstaate die Regel. Jedes positive wie negative Verhalten einer Gemeinde unter- 
liegt der Prüfung des Staates in Beziehung auf seine Rechtmäßigkeit. Er kann daher 
der Gemeinde einerseits alle Handlungen untersagen, welche ihren rechtlich anerkannten 
Wirkungskreis überschreiten, wie er sie andererseits zu Handlungen zwingen kann, von 
deren Vornahme die Erfüllung ihres rechtlich fixierten bebenszweckes abhängt. Die Form, 
  
1 Darüber, daß die unmittelbare Gemeinde- 
versammlung der etwaigen Gemeindevertretung 
ganz gleich bebandelt os wird und ebenso wie letz- 
ert als Organ der Gemeinde erscheint, vgl. 
. B. L. G. O, w., 8. 23, auch v. Möller, 
J. S. 69. Ähnlich wird auch bei anderen 
Korporationen die Versammlung a aller Mitglieder 
zu ihren „Organen“ gerechnet. So die General-= 
versammlung der Aktionäre, H. G. B., Art. 231, 
die Genossenschaftsversammlung im zeh 
betr. die Unfallvers. v. 6. Juli 1884 (R. G 
S. 69), §. 22. 
2 Löning, S. 174. 
* Vgl. R.O. H. G. Entsch., XVIII, S. 297 fl.; 
R. Ger. Entsch. in Civ. S., U, S. 303 ff., und 
in Seufferts Archiv, XI. Nr. 271. 
  
4 Rosin, Souveränetät, Staat, Gemeinde, 
Selbstverwaltung (in Hirths Ann., 1883, S. 
288 ff.). S. 14 u. 15. 
* Daher ist es inkorrekt, wenn die Verwal- 
tungsgerichte, welche über die Kompetenz= und 
Gesetzwidrigkeit der Beschlüsse der willenbilden- 
den Organe zu entscheiden haben, diese, wenn 
sie dieselben für gesetz= oder kompetenzwidrig 
halten, noch besonders außer Kraft setzen. Mit 
der Konstatierung der Gesetzwidrigkeit oder 
Kompetenzüberschreitung eines solchen Beschluf- 
ses sprechen sie zugleich aus, daß ein Beschluß 
des willenbildenden Gemeindeorganes im Rechts- 
finne überhaupt nicht vorliegt.
	        
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