Ortsgemeinden; das geltende Recht. (8. 17.) 73
in welcher der Staat diese Aufsicht ausübt, ist der Verwaltungsbefehl, der hier aber
regelmäßig, da es sich eben nur um die Rechtmäßigkeit handeln soll, einer Nachprüfung
durch die Verwaltungsgerichte unterworfen werden kann. Die Prüfung der Zweckmäßig-
keit einer Gemeindeaktion dagegen, welche früher in ziemlich weitem Umfange üblich
war#, ist heute vornehmlich auf die Fälle beschränkt, in welchen die Wirksamkeit einer
solchen von der vorgängigen Genehmigung? des Staates abhängig gemacht ist; die Ver-
sagung dieser Genehmigung ist regelmäßig nur durch Beschwerde anfechtbar.
2) Unter den angegebenen Voraussetzungen und innerhalb der eben umschriebenen
Grenzen können die Gemeinden wie jede Einzelperson außergerichtliche und gerichtliche
Rechtshandlungen vornehmen.
a) Durch zweiseitige wie einseitige Rechtsgeschäfte können sie sich berechtigen oder
verpflichten, besonders Eigentum und andere dingliche Rechte an beweglichen und un-
beweglichen Sachen erwerben, obligatorische Verbindlichkeiten übernehmen, Schenkungen
machen und solche erwerben.
Eingehende Vorschriften enthält das Allgemeine Landrecht? noch über den Besitz
der Gemeinden an Sachen und Rechten und über den Erwerb des Besitzes von Rechten
gegen Gemeinden. Es erkennt hier der Gemeinde nicht nur einen einheitlichen Gemein-
willen, sonvern auch ein einheitliches Gemeinbewußtsein zu, sodaß sie fähig ist, in
gutem oder bösem Glauben zu sein, redlich oder unredlich zu besitzen. Die Besitz-
erwerbung der Gemeinde kann nach Landrecht entweder durch die Gesamtheit oder Mehr-
heit ihrer Mitglieder", oder durch ihre Repräsentanten 3, oder durch ihre Vorsteher und
Beamtené erfolgen. Erwirbt sie den Besitz durch ihre Mitglieder?, so soll die Redlich-
keit oder Unredlichkeit desselben davon abhängen, ob die Mehrzahl jener Mitglieder bei
der Erwerbung des Besitzes für die Gemeinde redlich oder unredlich zu Werke ging;
ist die Zahl der Besitz ergreifenden Mitglieder zur Hälfte redlich, zur Hälfte unredlich,
so gilt der Besitz als unredlich, und er wird nachträglich unredlich, wenn sich in der
Folge die Mehrheit der Mitglieder von der Unrechtmäßigkeit desselben überzeugt. Er-
wirbt die Gemeinde den Besitz durch Repräsentanten, so soll in gleicher Weise der
Charakter des Besitzes nach dem Glauben der Mehrheit dieser Repräsentanten beurteilt
werden. Erwirbt die Gemeinde aber den Besitz durch ihre Vorsteher und Beamten, so
soll dieses als ein Erwerb durch Stellvertreter angesehen werden; ihre Redlichkeit nützt
nicht, wenn die Gemeinde selbst unredlich, und ihre Unredlichkeit schadet nicht, wenn die
Gemeinde selbst redlich ist. — Von diesen Vorschriften können heute jedoch nur die den
Erwerb durch die Mitglieder betreffenden als gültig angesehen werden. Mit dem Weg-
fall der landrechtlichen Repräsentanten einerseits und der Veränderung der Stellung der
1 So konnten nach älterem Rechte (vgl. z. B.
St. O. ö., 8§. 57, 77; w., §8. 57, 78) alle
Gemeindebeschlüsse wegen Berletzung des „Staats-
wohles“ und des „Gemeindeinteresses“, ebenso
wie wegen Kompetenz= und Rechtswidrigkeit
beanstandet und von der Regierung aufgehoben
werden; dies ist durch Zust. G., §§. 15, 29,
beseitigt.
: Einer solchen Genehmigung bedürfen, ab-
gesehen von einzelnen privatrechtlichen Hand-
lungen (Veräußerungen von Immobilien, Ver-
gleichen über Vermögen u. s. w.) vor allem die
autonomischen Satzungen der Gemeinden und
die Anstellung verschiedener Beamten. In allen
diesen Fällen braucht sich der Staat bei Ertei-
lung oder Versagung seiner Genehmigung nur
von Zweckmäßigkeitserwägungen leiten zu lassen.
Seine Thätigkeit ist hier eine präventive,
die Berhinderung unzweckmäßiger Gemeinde-
aktionen, während er da, wo er nur die Recht-
mäßigkeit eines Berhaltens der Gemeinde prü-
fen darf, regelmäßig regressiv vorgeht. Ledig-
lich aus Zweckmäßigkeitserwägungen ist dem
Staate ein Eingriff in die Gemeindeverwaltung
nur insofern gestattet, als er nach den meisten
Gemeindegesetzen die Gemeindevertretung auf-
lösen kann, ohne an rechtliche Voraussetzungen
gebunden zu sein.
: A. L. R., I, 7, 6§8. 26—29 und §s. 90—95.
4 F. 26 a. a. O.
5 §F. 32 a. a. O.
* §. 34 a. a. O.
7 Nur Gemeindemitglieder können durch ihre
dahin zielende Handlung für die Gemeinde Be-
sitz erwerben, andere Ortseinwobner nur, wenn
sie nach S. 45, a. a. O., zu Stellvertretern ge-
wählt sind. Ob. Trib. Entsch., LlIII, S. 16.
Wesentlich ist auch bei den Mitgliedern die Ab-
sicht, für die Gemeinde zu erwerben, a. a. O.,
S. 19. Vgl. auch Entsch. des R. Ger., bei
Gruchot, Beiträge, XV. S. 717, und Entsch.
d. Ob. Trib. (in Striethorst, Arch., LXXXVIII,
S. 341), wo die Benutzung einer Straße durch
das Publikum als Ausübung des Besitzes sei-
tens der städtischen Gemeinde angesehen wird,
vorausgesetzt, daß die die Straße benutzenden
Gemeindeglieder in der Meinung gehandelt haben,
ein der Stadt zustehendes Recht auszuüben.