Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

74 Zweiter Abschnitt. (8. 17.) 
Gemeindevorstände nach den neuen Gemeindeordnungen andererseits haben die auf den 
Besitzerwerb durch diese bezüglichen Bestimmungen ihre Bedeutung verloren.I Indem 
heute überall die Gemeindevorstände und auch die anderen Gemeindebeamten nicht mehr 
als bloße Stellvertreter der Gemeinde betrachtet werden, sondern als ihre Organe, durch 
welche sie selbst will und handelt, wird man dieselben, wie früher die Repräsentanten, 
innerhalb ihrer Zuständigkeit „als die Gemeinde selbst anzusehen“ und ihre Unredlich- 
keit? dieser, zuzurechnen haben.“" 
Gegen eine Gemeinde wird der Besitz des Rechtes, von ihr etwas zu fordern 
(eines affirmativen Rechtes), nur dadurch erworben, daß die Handlung von denjenigen 
Organen geleistet wird, welche die Gemeinde verpflichten können. Der Besitz der Be- 
fugnis, einer Gemeinde die fernere Ausübung eines von ihr gemeinschaftlich geübten 
Rechtes zu untersagen (eines Untersagungsrechtes), sowie der Besitz des Rechtes, etwas 
zu thun (eines negativen Rechtes), wird gegen eine Gemeinde nur dann erworben, wenn 
alle Mitglieder dem Verbote Folge geleistet, bezw. die Ausübung geduldet haben; als 
unterrichtet von dem Verbote, welchem Folge geleistet, bezw. von der Handlung, welcher 
hätte widersprochen werden müssen, gelten alle Mitglieder aber schon dann, wenn diese 
Vorgänge zur Kenntnis der zuständigen Gemeindeorgane gelangt sind.“ 
b) Die Stadtgemeinde kann ihre Rechte auch vor Gericht verteidigen. Im Um- 
fange ihrer Rechtsfähigkeit ist sie parteifähig und vermöge ihrer Handlungsfähigkeit auch 
prozeßfähig.' Sie kann daher im ordentlichen Civilprozeß, im Verwaltungsprozeß wie 
  
1 Anderer Ansicht wohl Förster-Eccius, III, 
§. 163, und Koch, A. L. R., in den Anmerkungen 
zu §§. 26 ff. cit., welche sie noch als geltendes 
Recht aufführen. 
: Und zwar wird bei einem kollegialischen 
Vorstande die mala fides eines Mitgliedes 
genügen, um den ganzen Vorstand und damit 
die Gemeinde bösgläubig zu machen, denn 
„jedes handelnde Vorstandsmitglied vertritt, so- 
weit es von einem für die Wirkung eines Ge- 
schäftes erheblichen Umstande Kenntnis hat, als 
Einzelner“ die Gesamtperson „notwendig in 
dem Sinn, daß seine Kenntnis“ ihr „zugerechnet 
wird, weil es kraft seines Amtes verpflichtet ist, 
von solchem Thatumstand Kenntnis zu nehmen 
und diese bei seiner Geschäftsführung zu ver- 
werten“. So das R. Ger. hinsichtlich des Vor- 
standes einer Aktiengesellschaft, in Seufferts 
Arch., XL, S. 398. Vgl. auch Entsch. in Civ. S., 
IX, S. 143 ff. — Ebenso kommt natürlich die 
Redlichkeit des Vorstandes der Gemeinde zu gute, 
sie kann ihr jedoch dann nichts nützen, wenn sie 
schon an und für sich bösgläubig ist, weil die 
Mehrzahl ihrer Mitglieder sich in mala fide be- 
findet. Vgll. Gierke, a. a. O., S. 627, Anm. 1. 
3 Ebenso wie das eigentliche Gemeindever- 
mögen, patrimonium universitatis, in Städten 
Kämmereivermögen genannt, kann auch das 
Gemeindegliedervermögen, res universitatis in 
specie, in Städten Bürgervermögen genannt, 
erworben werden. Bei letzterem hängt die Un- 
redlichkeit des Substanzbesitzes von der Unred- 
lichkeit der Gemeinde als solcher ab, und diese 
wird, wie oben angegeben, festgestellt; die 
Nutzungsrechte der einzelnen Mitglieder sind nach 
ihrer eigenen üdes zu beurteilen. A. L. R., I, 
7, 88. 35 ff. 
* Für das gemeine Recht gilt nach l. 1, 
S. 22, D. de a. vel. o. ßp. 41,2, und I. 2, D. 
eod. der Satz, daß Gemeinden nur durch Ver- 
treter Besitz erwerben können. Ob sie durch 
ihre Mitglieder, wie nach A. L. N., Besitz er- 
  
werben könnten, war beim Ob. Trib. streitig 
geworden. Es verneinte dieses bezüglich des 
patrimonium universitatis, auf welches sich 
jene Quellenstellen allein beziehen, erhob jedoch 
bezüglich der res universitatis den Satz: „Nach 
sächsischen und bezw. gemeinen deutschen Rech- 
ten können solche Sachen und Rechte, die zur 
Benutzung von seiten einzelner Glieder als sol- 
cher bestimmt sind, nicht bloß durch die ge- 
setzlichen Vertreter der Gemeinde, sondern 
auch durch die Mitglieder selbst (alle oder 
doch die Mehrheit) mit der Wirkung der Er- 
werbung des Besitzes für die Gemeinde in Be- 
sitz genommen werden“, unterm 2. Mai 1842 
zum Plenarbeschluß. Entsch., VIII, S. 3. 
#A. L. K., I, 7, §§. 90, 91; Gruchots 
Beiträge, V, S. 304, dort auch Berücksichtigung 
der gemeinrechtlichen Praxis. Durch Leistung 
einzelner Mitglieder der Gemeinde kann der 
Besitz eines Forderungsrechts gegenüber der- 
selben nicht erlangt werden. Es genügtt aber 
auch die Leistung nicht autorisierter Vertreter 
der Gemeinde, wenn die Mitglieder Kenntnis 
hatten und nicht widersprachen; die Leistung 
braucht nicht auf besonderen Beschluß der Ge- 
meinde oder mit Genehmigung einer Behörde 
erfolgtzu sein. Striethorst, Arch., XCV, S. 78; 
Entsch, des Ob. Trib., bearbeitet und heraus- 
gegeben von Rehbein, I, S. 677. 
A. L. R., I, 7, 9§. 92—95; Striethorsts 
Arch., XI, S. 176. 
7 Die Prozeßfähigkeit der Gemeinden wie der 
jur. Personen überhaupt ist bestritten. Für 
dieselbe erklären sich besonders Gierke, a. a. O., 
S. 733—737, und die Erkenntnisse des NR. Ger. 
in den Entsch. in Civ. S., VI, S. 138 ff.; IV, 
S. 155; XII, S. 233; dagegen: Wach, Handb. d. 
dtsch. Civilprozeßrechts, I (Leipzig 1885), S. 540 ff., 
welcher allerdings die Annahme der Prozeß- 
fähigkeit für denkbar erklärt; Planck, Lehrb. d. 
dtsch. Civilprozesses, 1 (1881), S. 216 ff., und 
das R. Ger. in seinen Entsch., XII, 398 ff., indem
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.