Ortsgemeinden; das geltende Recht. (8. 17.) 75
auch in besonderen Prozeßarten als prozeßfähige Partei klagen und beklagt werden.
Ihre Stellung im Prozeßverfahren ist im wesentlichen die einer prozeßfähigen Einzel-
person, und daher hat die deutsche Civilprozeßordnung ihrer auch nur an wenigen Stellen,
so in der Lehre vom Gerichtsstande und von der Zustellung, besonders gedacht. Soweit
Anwaltszwang besteht, muß sie sich nurch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten lassen,
im übrigen kann sie vor Gericht selbst, d. h. durch ihre Organe, handeln, und sie muß
selbst handeln, wo eine Prozeßvertretung der handlungsfähigen Partei ausgeschlossen ist,
wie bei Ausstellung der ersten Prozeßvollmacht und bei der Eidesleistung.
Das Schwurorgan der Gemeinde ist gewöhnlich der Vorstand. Ist dieser kollegialisch
organisiert, so ist es beim richterlichen Eide dem freien Ermessen des Richters überlassen,
den Eid sämtlichen Vorstandsmitgliedern oder nur einigen bezw. einem aufzuerlegen, der
Schiedseid dagegen ist prinzipiell von allen Mitgliedern zu leisten, nur wenn er eigene
Handlungen oder Wahrnehmungen nur einiger oder eines derselben betrifft, sind die
übrigen vom Schwur befreit.) Der allgemeine Gerichtsstand der Gemeinde ist da, wo#
ihre Verwaltung geführt wird.3 Zustellungen an sie erfolgen zu Händen ihres Vor-
standes; bei kollegialischer Organisation desselben genügt die Zustellung an ein Mitglied."
Die Gleichstellung von Gemeinde und Einzelperson bezieht sich aber nur auf das
Verfahren vor Gericht bis zur Fällung des Urteilsspruches, nicht auf das Exekutions=
stadium. Hier hat das Recht die Gemeinden, deren wirtschaftliche Erhaltung vom
größten öffentlichen Interesse ist, anderen Personen gegenüber bevorzugt. Persönliche
Geldforderungen können gegen sie im Wege der ordentlichen Zwangsvollstreckung nicht
geltend gemacht werden, vielmehr entscheidet hier bei Stadtgemeinden der Bezirksausschuß
und bei Landgemeinden der Kreisausschuß über die Art der Tilgung der Schuld, wobei
sich der Gläubiger allmähliche Abtragung gefallen lassen muß.“ Wegen anderer, d. h.
persönlicher, nicht auf Geldzahlung gehender oder dinglicher Forderungen kann zwar gegen
die Gemeinden die Zwangsvollstreckung in ihr bewegliches wie unbewegliches Vermögen
ebenso wie gegen jede andere Person vollzogen werden, jedoch sind Gebäude, welche zum
Betriebe der öffentlichen Angelegenheiten oder zu anderen gemeinen Notdurften bestimmt
sind, derselben niemals unterworfen.?.
Die Voraussetzungen für prozessuale Handlungen der Gemeinde, welche besonders
die beiden Fragen betreffen, ob sie zur Prozeßführung einer höheren Ermächtigung be-
darf, und welche Organe sie vor Gericht repräsentieren, sind im materiellen Gemeinde-
rechte geregelt. Einer Genehmigung zur Prozeßführung bedürfen heute nur die rheinischen
und nassauischen Gemeinden; aber auch sie sind von dieser entbunden, sofern es sich
es hier die jur. Personen zwar allgemein für
parteifähig, aber nicht für prozeßfähig hält, weil
fie chelerlicher Vertreter bedürfen.
C. P. O., §s. 440; Gierke, a. a. O., S.
738, 739, Anm. 1.
: C. P. O., 88. 438, 4834, 436. Die Fest-
stellung der Wirkung einer bloß partiellen
Eidesweigerung resp. Eidessäumnis ist
dem richterlichen Ermessen anheimgegeben.
: C. P. O., 8. 1
*C. P. O., §. 3.
* Die Beschlußfaffung dess Bezirks-(Kreis-)
Ausschuffes#) tritt nach Zust. G., §. 17, Abs. 2,
u. §. 33, Abs. 2, aber nur da ein, wo früher
eine analoge Beschlußfassung der Ausfsichts-
behörde stattzufinden hatte. Letzteres war der
Fall im Geltungsbereiche der allgemeinen Ge-
lichtoordnung (A. G. O., Anhang, §. 153 zu 1,
4, §. 45), der nassauischen Gemeindeordnung
* 60) und des rheinischen Rechts (Rheinisches
Refsortreglement v. 20. Juli 1818, 8. 25; R. Ger.
Entsch., S. 337 ff.). Sinflhrunze Ges ur
C. P. O. v. 30. Jan. 1877 (R. G. Bl., S. 244),
. 15, Z. 4. Se- auch v. Brauchitsch, 2#5
von Sarede, 3. Anm. 47 zu §. 17, Zust. G.
und Oppenhoff, Die preuß. Gesetze über die
Ressortverhältnisse zwischen Gerichten und Ver-
waltungsbehörden (Berlin 1863), Anm. 279. —
Die Beschlußfassung des Bezirksausschusses hat
in gedachten Fällen nicht nur bei der zwangs-
weiifen Durchführung von Erkenntnissen der
Civilgerichte, sondern auch bei der von Ent-
scheidungen der Verwaltung sgerichte stattzu
finden. O. V. G., V. S. 86. — In Berlin
tritt an Stelle des Bezirksausschusses der Ober-
präsident.
A. L. R., II, 6, §§. 97, 98. Für das
rheinische Recht sind die gesetlichen Bestim-
mungen in dem in voriger Anm. citierten Er-
kenntnis des R. Ger. angegeben.
7 6. 15, Z. 4 cit. des Einf. G. zur C. P. O.;
§. 757, C. P. O.; A. L. R., II, 8, §. 156. Für
das rheinische Recht, Code civil, Art. 537.
Im Gebiete des gemeinen Rechts sind diese im
Gemeingebrauch der Bürger stehenden oder dem
öffentlichen Dienste gewidmeten Gegenstände
überhaupt dem Privatverkehr entrückt und kön-
nen daher auch von Privaten nicht zu Exe-
mmiionsobielten benutzt werden. Dernburg,
Pand., I (4. Aufl., Berlin 1894), S. 168.