Ortsgemeinden; das geltende Recht. (§. 17.) 77
erkennung findet. So ist es zunächst unbestritten, daß Gemeinden aus einem bei Ab-
schluß oder Erfüllung von Verträgen begangenen Verschulden ihrer Organe den Mit-
kontrahenten civilrechtlich ersatzverbindlich sind und überhaupt für vertragsmäßiges
Verhalten ihrer Organe in jeder Beziehung einzustehen haben.! Ebenso ist in der
Praxis eine Haftung der Gemeinden aus außerkontraktlichem Verschulden ihrer Organe
anerkannt, und zwar stets dann, wenn ein Schaden infolge der Nichterfüllung einer Ver-
bindlichkeit eintritt, welche der Gemeinde als solcher nach gesetzlicher Vorschrift oder all-
gemeiner Rechtspflicht obliegt, meistens aber auch dann, wenn durch anderweitiges schuld-
haftes Verhalten der Organe eine Privatrechtssphäre verletzt ist. Vereinzelt sind dagegen
noch immer die Erkenntnisse, welche den Gemeinden auch eine Ersatzverbindlichkeit für
Schadenszufügungen auferlegen, die durch schuldhafte Ausübung oder Unterlassung von
Hoheitsakten oder öffentlichen fürsorglichen Maßregeln entstanden sind, obgleich auch hier
nach der heutigen Rechtsanschauung ein Eintreten der Gemeinden für ihre Organe ge-
fordert werden muß.
Aus fremdem Verschulden, d. h. für Vorsatz und Fahrlässigkeit ihrer Stell-
vertreter, Beauftragten u. s. w. haften die Gemeinden in demselben Umfange wie alle
Einzelpersonen. Auch bezüglich der Ersatzverbindlichkeiten ohne Verschulden, wie solche
sich z. B. aus dem Reichshaftpflichtgesetz v. 7. Juni 1871 (R. G. Bl., S. 207) ergeben
können, stehen sie den Einzelpersonen gleich.“ Ja ihre Haftpflicht ist in dieser Beziehung
noch erweitert. Nach dem Gesetze betreffend die Verpflichtung der Gemeinden zum Ersatze
des bei öffentlichen Aufläufen verursachten Schadens v. 11. März 1850 (G. S., S. 199)
haften die Gemeinden in den alten Provinzen, vorbehaltlich eines Regreßanspruches gegen
die eigentlichen Schadensstifter, für allen Schaden, welcher dadurch entstanden ist, daß
Lehrbüchern des gemeinen, deutschen und preußi= ihrer Beamten, welche diese in einer ihnen
schen Privatrechts seien hier nur hervorgehoben: nebenbei übertragenen Stellung, als unmittel-
Rocholl, Haftbarkeit jur. Personen für außer= bare Staatsorgane begehen. Gierke, a. a. O.,
kontraktliche Beschädigungen Dritter durch Hand= S. 763, Anm., u. S. 784 ff.
lungen oder Unterlassungen der Korporations= 2 Vgl. Gierke, a. a. O., S. 790, und die
repräsentanten, Vorsteher und Beamten (Rechts= zahlreichen daselbst in Anm. 2 citierten Entsch.
fälle aus der Praxis des R. Ger. 1881—83), wel-“ aus dem Gebiete des preuß. Landrechts und
cher deut sch-rechtlichen Anschauungen huldigt, auch des gemeinen Rechts. Diesen sind noch hinzu-
bes. nachweist, daß das A. L. R. die Deliktsfähigkeit zufügen: R. Ger. Entsch. in Civ. S., XXlII,
der Gemeinheiten anerkennt (über letzteren Punkt. 262, XXXI, S. 247 ff. (preuß. Landr.), XXIX,
vgl. auch Eccius bei Förster, Theorie und S. 142 (gem. R.); 2 Erk. des R. Ger., mitgeteilt
Praxis, IV. S. 732 ff.). Dagegen Löning, in der Jur. Wochenschr. 1886, S. 21, u. 1888,
Die Haftung des Staats aus rechtswidrigen S. 212 (Gem. RN.); Erk. des R. Ger., bei Gru-
Handlungen seiner Beamten nach deutschem chot, XXXVII, S. 999 (reuß. u. gem. R.).
Privat= und Stadtrecht (Dorpat 1879). Über die Haftpflicht der Gemeinden für ihre
1 RK. Ger. Entsch. in Civ. S., XIX, S. 352, und Wege= und Brückenbaubeamten vgl. insbesondere
Erk. des R. Ger., bei Gruchot, XXVI, S. 930.I. Beschl. d. Ob. Trib., Entsch., XIV, S. 92.
Auch dafür baben die Gemeinden einzutreten, Die Gemeinden dürfen die Beschädigten nicht
wenn ihre Organe durch Ausübung von an den Beamten, der Beamte sie aber an die
Hoheitsrechten den Inhalt privatrechtlicher Ver-ä Gemeinde verweisen. Die Gemeinde haftet pri-
räge, welche die Gemeinde abgeschlossen hat, mär. Striethorsts Arch., XILVI. S. 92;
vereiteln. So hat das R. Ger. eine Gemeinde, Entsch, des Ob. Trib. von Rehbein, I, S. 594.
welche ein Grundstück als Bauterrain verkauft 599; Erk. des R. Ger., bei Gruchot, XXIV,
hatte, verurteilt, sich die Auflösung des Ver- S. 507 (Haftung einer Dorfgemeinde für Nicht-
trages gefallen zu lassen, nachdem sie durch unterhaltung einer Brücke). Erk. des Ob. Trib.,
ibren Vorstand mittels einer Anordnung über in Seufferts Arch., XIV, Nr. 36, S. 49, u. des
Straßenanlagen dem Grundstück die Eigenschaft O. A. G. Darmstadt, eod. VII. Nr 150, S. 179
eines Bauterrains genommen hatte. Der Ge= (Zulässigkeit der Aquilischen Klagen gegen Ge-
meindevorstand — so führt das R. Ger. aus — meinden als Bauherren). Erk. des O. A. G.
nahm bei der Anordnung, wenngleich er als Wiesbaden, eod. XVI, Nr. 116, S. 208 (Ge-
„öffentliche Bebörde“ bandelte, doch immer als meinde ist schadensersatzpflichtig aus Störung
gesetzlicher Vertreter der Gemeinde einen freien eines Wasserlaufs durch Anlagen von Gemeinde-
Willensakt vor, welcher mit der Kontraktpflicht wegen). Auch Erk. des Ob. Trib., eod. XXNXI,
der letzteren kollidierte. Entsch. in Civ. S., VIII,. Nr. 37, S. 46 (die Landstände Neuvorpommerns
S. 298. — Wesentlich für die Haftpflicht der sind ersatzpflichtig für einen Überschwemmungs-
Gemeinden ist aber, daß der betreffende Beamte schaden, welcher durch Vernachlässigungen bei
nicht nur Gemeindebeamter ist, sondern auch in einem Chausseebau verursacht war).
concreto als Gemeindeorgan gehandelt hat. 2 Gierke, a. a. O., S. 794 ff.
Daher haftet die Gemeinde nicht für Verschulden 4* Gierke, a. a. O., S. 801 ff., 805 ff.