Ortsgemeinden; das geltende Recht.
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Auf Beschwerden und Einsprüche, betreffend:
1) das Recht zur Mitbenutzung der öffentlichen Gemeindeanstalten,
2) die Heranziehung oder die Veranlagung zu den Gemeindelasten,
beschließt der Gemeindevorstand. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungs-
streitverfahren vor dem Bezirksausschuß statt.
Der Entscheidung im Verwaltungsstreitverfahren unterliegen auch Streitigkeiten der
Beteiligten untereinander über ihre im öffentlichen Rechte begründete Berechtigung oder
Berpflichtung zu den oben bezeichneten Nutzungen und Lasten.
b) Die Bürger.
I. Das Bürgerrecht erwirbts in Schleswig-Holstein jeder Reichsangehörige, im
übrigen jeder Preuße" männlichen Geschlechts?, der folgende Bedingungen erfüllt. Er muß:
1) im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte sein;
2) in Schleswig-Holstein großjährig, in den übrigen Gebietsteilen 24 Jahre
alt sein;
3) selbständig,
das Vermögen nicht beschränkt sein;
d. h. wirtschaftlich unabhängig und in der Verfügungsfähigkeit über
4) seit einem Jahre Einwohner des Stadtbezirkes sein und zur Stadtgemeinde gehören;
5) seit einem Jahre die ihm obliegenden Gemeindeabgaben bezahlt haben;
6) in Schleswig-Holstein jede nach dem 18. Lebensjahre empfangene öffentliche
Unterstützung? zurückgezahlt,
keine solche empfangen haben;
in den anderen Gebietsteilen seit einem Jahre überhaupt
1 13uKt. G., §. 18; St. * ö., wiesb., w. u. rh.,
4; schlesw. holst., §. 5; frkf., §. 7. Bzgl.
7 Rechtsmittel gegen die Heranziehung zu den
Gemeindelasten vgl. Näheres unten §§. 88 ff.;
bzgl. des Rechts der Einwohner zur Teilnahme
an den Nutzungen und Erträgen des Gemeinde-
vermögens unten §. 5..
„ Leidig, S. 48; v. Möller, St., §. 20;
Steffenhagen, g8. 6; Schmitz, g. is;
Grotefend, 88. 238, 239; Koslik, Das Bür-
gerrech in den preußischen Provinzen Branden-
urg, Pommern u. s. w. (Berlin 1888).
St. O. ö., wiesb., w. u. rh., §. 5; schlesw. =
holst., §. 7; frkf., §. 13.
* Wegen des Erwerbes und Verlustes der
Reichs= und Staatsangehörigkeit vgl. Reichs-
esetz v. 1. Juni 1870 (B. G. Bl., S. 355) und
Ias- G. 8. 155.
* Die St. Ordugn. enthalten keine aus-
drücklichen Bestimmungen darüber, ob Frauen
das Bürgerrecht erwerden können. Die St. O.
von 1808 ließ sie zu demselben zu, schloß sie
aber von dem aktiven und damit auch von dem
passiven Wahlrechte aus. Heute bildet das
Wahlrecht den einzigen Inhalt des Bürgerrechts,
dieses steht nach den St. Ordugn. zweifellos
nur Männern zu, und daher werden Frauen
überhaupt als vom Bürgerrecht ausgeschlossen
zu betrachten sein. So auch Leidig, S. 48,
3. II. 1; Ortel, S. 129, Anm. 2; v. Mar-
einows ki, S. 49. Anm. 80.
* Über den Begriff der Selbständigkeit ogl.
die Motive zur St. O. schlesw. holst. Diese
definiert ihn dahin, daß der Betreffende ver-
fügungsfähig sein muß und nicht im Brot
und Hause eines anderen stehen darf. Die
anderen St. Ordugn. verlangen das Haben
eines eigenen Hausstandes. Dazu würde
nach gewöhnlichem Sprachgebrauche der Besitz
alles dessen gehören, was zur Einrichtung einer
häuslichen Wirtschaft erforderlich ist, mindestens
der Besitz eigener Möbel und anderer zu häus-
lichen Bedürfnissen bestimmter Geräte. Allein
indem nach ellgemeiner Rechtsanschauung der
Begriff der Selbständigkeit ein weiterer ist, die
St. Ordugn. selbst aber den Ausdruck „eige-
ner Hausstand“ nicht definiert haben, wird
man auch diesen nicht im engsten Sinne auf-
fassen dürfen. „Es ist deshalb hier unter einem
ceigenen Hausstande nicht eine eigene Haus-
baltung oder Wirtschaftsführung, 1 die
in der Nichtzugehörigkeit zu einer fremden
Haushaltung erkennbare wirt chaftliche Un-
abhängigkeit zu verstehen.“ (Ortel, Anm. 13
zu §. 5 der St. O. ö.) Diese liegt auch dann
vor, wenn Personen auf Grund eines Vertrages
gegen, entsprechende Bezahlung als Mieter oder
ostgänger bei einer Familie leben und so zwar
thatsichhhh. aber nicht rechtlich im Hausstande
der letzteren leben, während sie nicht anzunehmen
ist, wenn im Dienst- oder Engagementsverhält-
nisse stehende Personen für ihre Dienste ohne
oder neben dem Gehalte von ihrem Arbeitgeber
freie Wohnung und Lebensunterhalt erhalten
(Lehrlinge, Gesellen, Dienstboten). — Solche
Verhältnisse bezeichnet eben die schlesw. holst.
St. O. mit „im Hause und Brote anderer
stehen". — Diese Begriffsbestimmung hat auch
das O. V. G. anerkannt, indem es annimmt,
daß auch Chambregarnisten selbständig sein kön-
nen (Entsch. XIV. S. 170) und daß es dem
Begriffe des eigenen Hausstandes nicht wider-
spreche, wenn sich Familienangehörige aus
natürlichen Pietätsrücksichten der Mutter als
ihrem Haupte im emeinsamen Hausstande
unterordnen. Entsch. VIII, S. 129; And. Meing.
Marcinowski, S. 52, Anm. 91.
7 Dazu gehören die auf Grund des Kranken-, des
Unfall= und des Invaliditäts= und Altersversiche
rungsgesetzes gezahlten Beiträge natürlich nicht.