Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

Ortsgemeinden; das geltende Recht. 
(8. 20.) 85 
Auf Beschwerden und Einsprüche, betreffend: 
1) das Recht zur Mitbenutzung der öffentlichen Gemeindeanstalten, 
2) die Heranziehung oder die Veranlagung zu den Gemeindelasten, 
beschließt der Gemeindevorstand. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungs- 
streitverfahren vor dem Bezirksausschuß statt. 
Der Entscheidung im Verwaltungsstreitverfahren unterliegen auch Streitigkeiten der 
Beteiligten untereinander über ihre im öffentlichen Rechte begründete Berechtigung oder 
Berpflichtung zu den oben bezeichneten Nutzungen und Lasten. 
b) Die Bürger. 
I. Das Bürgerrecht erwirbts in Schleswig-Holstein jeder Reichsangehörige, im 
übrigen jeder Preuße" männlichen Geschlechts?, der folgende Bedingungen erfüllt. Er muß: 
1) im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte sein; 
2) in Schleswig-Holstein großjährig, in den übrigen Gebietsteilen 24 Jahre 
alt sein; 
3) selbständig, 
das Vermögen nicht beschränkt sein; 
d. h. wirtschaftlich unabhängig und in der Verfügungsfähigkeit über 
4) seit einem Jahre Einwohner des Stadtbezirkes sein und zur Stadtgemeinde gehören; 
5) seit einem Jahre die ihm obliegenden Gemeindeabgaben bezahlt haben; 
6) in Schleswig-Holstein jede nach dem 18. Lebensjahre empfangene öffentliche 
Unterstützung? zurückgezahlt, 
keine solche empfangen haben; 
in den anderen Gebietsteilen seit einem Jahre überhaupt 
  
1 13uKt. G., §. 18; St. * ö., wiesb., w. u. rh., 
4; schlesw. holst., §. 5; frkf., §. 7. Bzgl. 
7 Rechtsmittel gegen die Heranziehung zu den 
Gemeindelasten vgl. Näheres unten §§. 88 ff.; 
bzgl. des Rechts der Einwohner zur Teilnahme 
an den Nutzungen und Erträgen des Gemeinde- 
vermögens unten §. 5.. 
„ Leidig, S. 48; v. Möller, St., §. 20; 
Steffenhagen, g8. 6; Schmitz, g. is; 
Grotefend, 88. 238, 239; Koslik, Das Bür- 
gerrech in den preußischen Provinzen Branden- 
urg, Pommern u. s. w. (Berlin 1888). 
St. O. ö., wiesb., w. u. rh., §. 5; schlesw. = 
holst., §. 7; frkf., §. 13. 
* Wegen des Erwerbes und Verlustes der 
Reichs= und Staatsangehörigkeit vgl. Reichs- 
esetz v. 1. Juni 1870 (B. G. Bl., S. 355) und 
Ias- G. 8. 155. 
* Die St. Ordugn. enthalten keine aus- 
drücklichen Bestimmungen darüber, ob Frauen 
das Bürgerrecht erwerden können. Die St. O. 
von 1808 ließ sie zu demselben zu, schloß sie 
aber von dem aktiven und damit auch von dem 
passiven Wahlrechte aus. Heute bildet das 
Wahlrecht den einzigen Inhalt des Bürgerrechts, 
dieses steht nach den St. Ordugn. zweifellos 
nur Männern zu, und daher werden Frauen 
überhaupt als vom Bürgerrecht ausgeschlossen 
zu betrachten sein. So auch Leidig, S. 48, 
3. II. 1; Ortel, S. 129, Anm. 2; v. Mar- 
einows ki, S. 49. Anm. 80. 
* Über den Begriff der Selbständigkeit ogl. 
die Motive zur St. O. schlesw. holst. Diese 
definiert ihn dahin, daß der Betreffende ver- 
fügungsfähig sein muß und nicht im Brot 
und Hause eines anderen stehen darf. Die 
anderen St. Ordugn. verlangen das Haben 
eines eigenen Hausstandes. Dazu würde 
nach gewöhnlichem Sprachgebrauche der Besitz 
alles dessen gehören, was zur Einrichtung einer 
  
häuslichen Wirtschaft erforderlich ist, mindestens 
der Besitz eigener Möbel und anderer zu häus- 
lichen Bedürfnissen bestimmter Geräte. Allein 
indem nach ellgemeiner Rechtsanschauung der 
Begriff der Selbständigkeit ein weiterer ist, die 
St. Ordugn. selbst aber den Ausdruck „eige- 
ner Hausstand“ nicht definiert haben, wird 
man auch diesen nicht im engsten Sinne auf- 
fassen dürfen. „Es ist deshalb hier unter einem 
ceigenen Hausstande nicht eine eigene Haus- 
baltung oder Wirtschaftsführung, 1 die 
in der Nichtzugehörigkeit zu einer fremden 
Haushaltung erkennbare wirt chaftliche Un- 
abhängigkeit zu verstehen.“ (Ortel, Anm. 13 
zu §. 5 der St. O. ö.) Diese liegt auch dann 
vor, wenn Personen auf Grund eines Vertrages 
gegen, entsprechende Bezahlung als Mieter oder 
ostgänger bei einer Familie leben und so zwar 
thatsichhhh. aber nicht rechtlich im Hausstande 
der letzteren leben, während sie nicht anzunehmen 
ist, wenn im Dienst- oder Engagementsverhält- 
nisse stehende Personen für ihre Dienste ohne 
oder neben dem Gehalte von ihrem Arbeitgeber 
freie Wohnung und Lebensunterhalt erhalten 
(Lehrlinge, Gesellen, Dienstboten). — Solche 
Verhältnisse bezeichnet eben die schlesw. holst. 
St. O. mit „im Hause und Brote anderer 
stehen". — Diese Begriffsbestimmung hat auch 
das O. V. G. anerkannt, indem es annimmt, 
daß auch Chambregarnisten selbständig sein kön- 
nen (Entsch. XIV. S. 170) und daß es dem 
Begriffe des eigenen Hausstandes nicht wider- 
spreche, wenn sich Familienangehörige aus 
natürlichen Pietätsrücksichten der Mutter als 
ihrem Haupte im emeinsamen Hausstande 
unterordnen. Entsch. VIII, S. 129; And. Meing. 
Marcinowski, S. 52, Anm. 91. 
7 Dazu gehören die auf Grund des Kranken-, des 
Unfall= und des Invaliditäts= und Altersversiche 
rungsgesetzes gezahlten Beiträge natürlich nicht.
	        
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