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Bevor er den Sitzungssaal verließ, ging er noch auf den bahgyerischen
Regierungsrat Herrmann zu und reichte diesem, der sich tief verbeugte, die Hand.
Welche Bedeutung Bismarck der von Hamburg aufgeworfenen Verfassungs-
frage beilegte, geht daraus hervor, daß er am darauffolgenden Tage in seiner
Eigenschaft als preußischer Minister der auswärtigen Angelegenheiten nach-
stehende Note an die preußischen Gesandten bei den deutschen Bundesstaaten
richtete.
Berlin, den 6. Mai 1880.
„Auf Eurer 2c. gefälligen Bericht V9r. vom . . d. M. erwidere ich
ergebenst, daß die hamburgische Frage inzwischen in den vereinigten Zoll= und
Handelsausschüssen gestern ausführlich erörtert und infolgedessen der einstimmige
Beschluß beider Ausschüsse gefaßt wurde, dem Bundesrat über die technische
Seite der Anträge Preußens und Hamburgs Bericht zu erstatten, ohne die
verfassungsrechtliche Frage zur Entscheidung zu stellen. Zu dieser Entscheidung
hat, wie ich glaube, insbesondere die Erwägung Anlaß gegeben, daß Ent-
scheidungen über zweifelhafte Auslegungen der Reichsverfassung Schwierigkeiten
und Bedenken darbieten; die preußische und die hamburgische Auslegung des
Art. 34 der Verfassung stehen sich entgegen und schließen einander aus. Ent-
scheidet sich die Mehrheit der Stimmen im Bundesrat für die preußische Aus-
legung, so wird Hamburg die Verfassung zu seinem Nachteil für verletzt halten;
gewinnt dagegen die hamburgische Meinung die Mehrheit, so wird Preußen die
Ueberzeugung haben, daß diese Entscheidung gegen die Verfassung und gegen die
derselben zu Grunde liegenden Verträge laufe. Da diese Schwierigkeiten sich
bei jedem Streit über Interpretationen der Verfassung wiederholen, so bin ich
seit Einrichtung des Bundesrats mit Erfolg bemüht gewesen, zu verhüten, daß
Fragen der Art zur Entscheidung gestellt werden, und ich werde auch in dem
vorliegenden Falle in demselben Sinne jede Gefährdung der Eintracht unter
den Bundesregierungen abzuwenden suchen.
Als Vertreter Preußens habe ich die Pflicht, die Rechte Preußens im Bunde
zu wahren und für die Interessen derjenigen preußischen Unterthanen einzutreten,
welche durch die gegenwärtige Gestaltung des hamburgischen Freihafenbezirks
geschädigt und im Genuß der ihnen auf Grund der nationalen Einigung
Deutschlands und des Artikels 33 der Verfassung zustehenden Rechte beein-
trächtigt werden. Als Reichskanzler aber liegt mir die Pflicht ob, die ver-
fassungsmäßigen Rechte des Bundesrats wahrzunehmen und die Gesamtheit der
verbündeten Regierungen in der Ausübung derselben zu vertreten, sowohl gegen
die Wirkung partikularistischer Bestrebungen und Sympathien der Einzelstaaten
wie gegen die zentralistische Neigung, verfassungsmäßige Rechte des Bundesrats
zu Gunsten des Reichstags zu verkürzen.
Im Namen Preußens verlangt die Königliche Regierung die Ausscheidung