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leistenden Damen, die im Parterresaal des Palais Charpie zupften
und Verbandstücke anfertigten, durch einen kurzen Besuch. Sie
brachte ihnen die neuesten Mitteilungen vom Kriegsschauplatze
und den Offiziersfrauen Nachrichten von ihren Männern. In
der ganzen langen Trennungszeit ist nie ein Brief des Kron-
prinzen verloren gegangen.
Die Kronprinzessin fuhr in die Lazarette, Freund und Feind
besuchend, tröstend, aufheiternd, kleine Geschenke verteilend, mit
denen sie die besonderen Wünsche eines jeden zu erfüllen wußte.
Sie stellte eine Summe Geldes zur Verfügung, um denjenigen
Verwundeten und Kranken, denen es die Arzte gestatteten, Aus-
flüge zu Wagen zu ermöglichen. Die Kronprinzeß gewann bald
das Vertrauen der Leute. Die Klagen und Wünsche auch des
Geringsten nahm sie freundlich auf und trug ihnen Rechnung,
soviel sie konnte. Sie beschränkte sich dabei nicht darauf, nur von
ihrem lberflusse zu geben, nein, sie legte sich wirkliche Entbehrungen
auf, um ausreichende Mittel für die Unzähligen zu haben, die
ihre Hilfe begehrten. Sie achtete aber auch ihre eigene Bequem-
lichkeit nicht, fühlte weder Müdigkeit, noch Hunger. Hfter kehrte
sie abends heim, ohne auch nur ihr Frühstück berührt zu haben,
so daß späterhin immer ein Frühstückskörbchen mit ins Max-
Palais wanderte. Sie achtete nicht die große Kälte des Winters,
obwohl ihre Natur das nordische Klima eigentlich nicht recht
vertragen kann.
Der Winter 1870/71 war besonders streng. Es lag hoher
Schnee. Die Kronprinzeß wollte eines Tages ihr kleines Lazarett
in Strehlen aufsuchen; der Kutscher konnte aber auf der Straße mit
dem Wagen nicht bis dahin durchdringen, auch gelang es ihm vom