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zum Genusse der Berg- und Landluft auf. Der Kronprinz
liebte die Alpen, die Kronprinzeß hatte die größte Freude an
der gebirgischen Natur. Ende Juli 1863 wurde eine Reise nach
dem Berner Oberlande angetreten. Der Weg führte über
Frankfurt an den Rhein, wo in Rüdesheim eine Freundin der
Kronprinzeß, Gräfin Bella Ingelheim, die Brömser Burg, ein
altes römisches Kastell, bewohnte. Es wurde über Baden und
Freiburg Umkirch besucht, in Erinnerung an die Großherzogin
Stephanie. Der Besuch sollte ganz inkognito stattfinden, doch
hatte die Kronprinzeß den Geistlichen benachrichtigen lassen; und
so kam es, daß sie bei ihrer Annäherung mit Böllerschüssen
empfangen und von der Schuljugend mit von einer Violine
begleitetem Gesange begrüßt wurde. Das Inkognito der Herr—
schaften wurde auf den Reisen meist verraten, und nur in seltenen
Fällen gelang es, dasselbe aufrecht zu erhalten.
Die Schweiz bot den Genuß ihrer unerschöpflichen Natur-
schönheiten; gute Gasthöfe sorgten für materielles Wohlbefinden.
Einer der lohnendsten, aber auch anstrengendsten Ausflüge war
der auf die Schynige Platte (2070 m), diese ebenbürtige Rivalin
des Faulhorns, von Interlaken aus. Der fünfstündige Aufstieg
auf gewundenem Pfade, oft in Buchen- und Tannenwald, mit
den herrlichen Ausblicken auf das Bödeli und die Seen, ins
Lauterbrunnenthal und in die unendliche Bergpracht und Gletscher-
welt war für die Kronprinzeß ein hoher Genuß, aber auch eine
große Anstrengung, da sie, von Schwindel nicht frei, nur mit
Anwendung aller Willenskraft das Ziel ereichte. Hier lagen
dann die Bergriesen des Berner Oberlandes vom Wetterhorn bis
zum Eiger vor ihren entzückten Blicken. Nach Beendigung der
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Königin Carola.