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Kurze Ruhe.
Die deutsche Frage war mit Blut und Eisen gelöst worden;
neue Formen und Einrichtungen traten an die Stelle der alten.
Es wurde der Kronprinzeß nicht leicht, mit der alten Zeit zu
brechen und sich mit der Neuzeit zu versöhnen. Es bedurfte
dazu ihrer ganzen Einsicht, Wahrheitsliebe und Pflichttreue, des
festen Entschlusses, den neu sich bildenden Verhältnissen mit
frischem Mute, mit Offenheit und aller Redlichkeit entgegen—
zukommen. Sie befolgte das Beispiel ihres königlichen Herrn,
der seinen Sachsen vorbildlich zugerufen hatte: „Mit derselben
Treue, wie zu dem alten Bunde, werde ich auch an der neuen
Verbindung, in die ich jetzt getreten, halten und, soweit es in
meinen Kräften steht, alles anwenden, um dieselbe, wie für unser
engeres, so auch für unser weiteres Vaterland möglichst segens-
reich werden zu lassen."
Zu dem sich anbahnenden guten Verhältnis trug nicht wenig
das schonende und kluge Vorgehen Preußens bei. Als äußeres
Zeichen, daß er gewillt sei, mit den aufrichtigsten Gesinnungen
in die Bahn der neuen Verhältnisse einzutreten, war König
Johann mit Kronprinz Albert Mitte Dezember 1866 nach Berlin
gereist, um König Wilhelm einen Besuch abzustatten. Dieser
wurde am 19. und 20. Februar 1867 durch eine Reise des
Königs und des Kronprinzen von Preußen nach Dresden erwidert.
Die milde und wohlwollende Weise des ehrwürdigen Königs
Wilhelm verfehlte nicht, Ehrerbietung und Vertrauen zu erwecken.
Die noch im Lande befindlichen preußischen Truppen wurden
nach und nach zurückgezogen, aus Dresden Ende Mai.