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Morgen einen schwer typhuskranken Knaben in einer elenden
luft- und lichtlosen Hofwohnung eines Hauses der Kanalgasse
und darauf noch zwei andere vier Treppen hoch wohnende Typhus-
kranke in der Stadt. Meist blieb sie unerkannt. Überall spendete
sie Trost und Hilfe, war wie ein Sonnenstrahl in dunkler
Kammer. Sie wies auch die Leute hin zu ihren Seelsorgern,
und mancher hat auf ihre Veranlassung sich noch zu rechter Zeit
den letzten Trost und Beistand im heiligen Abendmahle reichen
lassen. Oft sah man Frauen aus dem Zimmer der Kronprinzeß
treten mit deren eigenem Frühstück im wohlgefüllten Korbe und
einem duftenden Blumenstrauß für den Kranken daheim. Vor
einer längeren oder kürzeren Abwesenheit ordnete sie an, daß
Blumen und Früchte des Strehlener Gartens einzelnen Kranken
und den Krankenanstalten der Stadt überbracht werden sollten.
So mußte auch der Ertrag ihres Hühnerhofes denselben Zwecken.
dienen. Oft standen große Körbe voll Eier in ihrem Toiletten=
zimmer; die Verteilung bestimmte sie selbst.
Hofmarschall von Zezschwitz nahm den Abschied. An seine
Stelle trat als Chef der Hofhaltung der Rittmeister und persön-
liche Adjutant des Kronprinzen Clemens Senfft von Pilsach am
1. Januar 1868. Bald darauf zum Hofmarschall ernannt, war
er zugleich dienstthuender Kammerherr der Kronprinzeß. Von
elegantem Außeren, hatte er einen liebenswürdigen Charakter,
ein freundliches und anspruchsloses Wesen und verfügte über
einen unerschöpflichen Vorrat von guter Laune. Fräulein von
Minckwitz trat 1869 in Wartegeld und erbat Anfang 1870 den
Abschied, um ihre bejahrte und leidende Mutter pflegen zu können.
Die verwitwete Gräfin Helene von Wallwitz, geb. Edle von der
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