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Universität ist auch ein landwirtschaftliches Institut und eine Handels-
hochschule verknüpft worden. Die Zahl der Studenten ist auf 3500
angewachsen, und Leipzig ist nach Berlin die größte Universitäts-
stadt Norddeutschlands geworden. Wie viele Geistliche und
Lehrer, Arzte und Richter sind hier gebildet worden und
haben dann die Samenkörner des Wissens in unser Vater-
land, ja über seine engen Grenzen in alle Welt hinaus-
getragen! Denn Leipzig verdankt seinen Ruhm nicht nur
den Gütern der Erde, sondern vor allem auch den Schätzen
des Geistes, deren Hüterin die Hochschule ist.
6. Nicht weit vom Universitätsgebände steht am Augustusplatze
das städtische Museum. Seine unteren Räume bergen Figuren
aus Gips oder Marmor, in den mittleren Sälen hängen Olgemälde
bewährter Meister, und in den oberen Zimmern sind Kupferstiche
ausgelegt. Das ist ein Haus für die bildende, besonders für die
malende Kunst. Ihm gegenüber erhebt sich der stolze Bau des
neuen städtischen Theaters, dessen Vorhalle Säulen stützen und
dessen Rückseite eine Terrasse ziert, die zu den Laubgängen am
Schwanenteiche abfällt. In ihm werden die ernsten oder heiteren
Werke unserer deutschen Dichter durch tüchtig geschulte Schau-
spieler zur Aufführung gebracht, um edle Gedanken in unser Volk
zu tragen. Das ist ein Haus für dic darstellende, besonders für
die Schauspielkunst. Weit von ihm entfernt, erhebt sich am Johanna-
parke das neue Gewandhaus der Stadt, in welchem Instrumental-
und Gesangskonzerte bewährter Künstler gegeben werden, um durch
Töne die Herzen von dem Niederen abzuziehen und für das Edle
zu ermuntern. Das ist ein Haus der tönenden, der musikalischen
Kunst. Und überall ragen an Märkten und Straßen die Kirchen
auf mit ihren hohen Dächern (Thomaskirche) und schlanken Türmen
(Peterskirche), mit ihren kunstvollen Pforten und Pfeilern, mit ihren
Bildern und ihrem Altarschmuck. In ihnen erklingen aus dem
Munde tüchtiger Kanzelredner Worte des Lebens an das menschliche
Herz, um es noch tiefer zu erfassen, als Gemälde und Schauspiel und
Töne es können. Das sind Häuser der bauenden und redenden Kunst.
Dazu treten die Fachschulen, Museen und Ausstellungen der Stadt,
die neue Jünger für die Kunst heranbilden wollen. Vor allem
haben die Künste ihren Einzug in die besseren Familien
der Stadt gehalten und daher auch einen gebildeten Ton
über das Alltagsleben gebreitet, durch den sich Leipzig
als Pflegerin der Künste von andern Handelsstädten
unterscheidet.
7. Eine Stadt, die Wissenschaft und Künste pflegt, in der der
deutsche Handel blüht, und die im Mittelpunkte des deutschen Landes
liegt, war sicher wohl geeignet, den höchsten Gerichtshof des
Demschen Reiches aufzunehmen. Das deutsche Reichsgericht besteht
aus gegen 100 auserlesenen Richtern, die sich in verschiedene
Abteilungen gliedern und in streitigen Fragen das letzte, entscheidende