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balsamische Luft der Berge mit nach ihrer Mündung trüge, um
die kranke Brust der Gäste zu stärken und durch das wechselnde
Wellenspiel ihren Sinn zu erheitern. Am wohltätigsten aber erweisen
sich die Berggehänge für die leidenden Besucher der Stadt. Sie
wehren ja den rauhen Winden des Nordens den Eintritt ins Tal
und senden ihnen den Duft ihrer Nadelwälder zu. So durchtränkt
ein milder Lufthauch die Talöffnung, die sich zum Genusse der Gäste
auch weiter mit freundlichen Promenadenwegen und
Wohnhäusern schmückt. Überall steigen schattige Pfade in die
waldigen Berge hinauf, liebliche Landschaftsbilder öffnen sich auf
den Höhen, an dem Strome flutet der Verkehr auf mehrfachen
Bahnen brausend und dampfend vorüber, und hier, im Angesichte
desselben, ziehen sich schmucke Gartenhäuser wie Stätten des Friedens
in die Berge zurück. Vor allem haben sich die größeren Hotels
zum Empfange der Gäste gerüstet, die Veranda mit Weinlaub um—
wunden, die luftigen Zimmer mit blühenden Pflanzen geschmückt,
saubere Bäder in ihren Hallen angelegt und den Hansgarten in
einen lauschigen Park verwandelt. Eins der vornehmsten unter ihnen
trägt dazu über seinem Portale die verheißungsvolle Inschrift: „Hier
wird man gesund (Quisisana)!“ Kein Wunder, daß aus Sachsenland,
aus England und Rußland wohlhabende Familien herbeiströmen,
um in unserem kleinen Schandau einige Wochen der Erholung, oder
nach einer früheren Badekur wenigstens einige Tage der Nachkur
zu verleben. Wenn im Hochsommer alle Wohnungen besetzt, alle
Pfade belebt sind und verschiedene Sprachen an unser Ohr klingen,
dann möchten wir auch hier mit dem Dichter fragen: „Wer zählt
die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen?“
Schandau ist mit einem Worte der Weltkurort in
unserem Elbsandsteingebirge geworden.
6. Zu den Bade= oder Kurgästen gesellen sich in Schandau
aber auch Tausende von Reisenden, die den Ort nur flüchtig
streifen, um von ihm aus bequem in die verborgenen Schönheiten
der Sächsischen Schweiz vorzudringen. Auch wir schließen uns diesen
wanderlustigen Scharen an und wollen mit ihnen im Kirnitzschtale
weiter aufwärts steigen. Wir erreichen nach längerer Wanderung
an Wasserfällen und Talmühlen vorüber den kleinen Ort Hinter-
hermsdorf im östlichen Elbsandsteingebirge. Nun noch eine kurze
Strecke durch die frischgrünen Waldpsade, und wir haben an der
sächsisch-böhmischen Grenze eine der herrlichsten Flußlandschaften
unseres Sachsenlandes vor uns! Durch eine Schleusenanlage
(Steinmauer, die in der Mitte durch einen Schützen geöffnet werden
kann) wird der reißende Bergfluß gestaut und zum stillen Verweilen
gezwungen. Nun breitet er dunkel und tief seine geheimnisvolle
Flut wie ein See zwischen den Bergen aus. Denn an seinen Ufern
erheben sich turmhohe Felsenwände, deren offene Stellen die goldene
Schwefelflechte überzieht. In den Rissen der Steine aber wurzeln
hohe Fichten, die eine dunkle Decke über die kühnen Felsentürme