— 175 —
Bilder des gemütvollen Malers Ludwig Richter gesehen? Was
ihr da mit Lust betrachtet, das ist zum großen Teil ein Abbild des
Meißner Lebens! Allabendlich umgab es ja den Meister, wenn er,
vom Schlosse herabsteigend, die Bürger vor ihren Türen, die Kinder
auf den Straßen, die Tauben auf dem Dache, die Enten im Teiche,
die Herden auf der Heimkehr von der Weide fand! Und nehmt ihr
zu diesem friedlichen Bild der eigentlichen Stadt noch den Elbstrom
hinzu, der von Schiffen belebt wird, das hohe Gegenufer, von Vor-
orten besetzt, die benachbarten Elbgehänge, mit Kapellen und Kloster-
resten geschmückt, das Triebischtal, in dem sich das Buschbad versteckt,
und die Fruchtgelände des Elbtales, mit Reben bewachsen, dann
werdet ihr wohl auch den Lobspruch des Kaisers Karl V. verstehen,
der Meißen und seine Umgebung den schönsten Gegenden Italiens
zur Seite setzte. Vergeßt mir nicht, die Stadt an der Mündung
der Triebisch und Meißa aufzusuchen. ihren Aufbau (etwa von der
alten Brücke aus) zu erfassen und euch an dem Schmucke der
Stadt und vor allem an dem frischen Pulsschlageihres
bürgerlichen Lebens zu erfreuen!
3. Und nun steigen wir am steilen Schloßberge hinauf, um auf
ihm die geweihten Stätten unserer vaterländischen Geschichte zu be-
trachten. Bis an den Elbstrom hatte Kaiser Heinrich lI. am Anfange
des 10. Jahrhunderts die Daleminzier zurückgedrängt. Nun galt es,
an der Grenze des deutschen und slavischen Volksstammes eine starke
Burg zu errichten, um den nenen Besitz zu schirmen und deutsches
Wesen weiter nach dem Osten zu tragen. Deshalb ließ der Kaiser
Mauern und Türme zu einer mächtigen Feste (928) erstehen, legte
eine Besatzung in die Burg und setzte einen Grafen über die Burg-
männer. Die Aufsicht über den Grenzgau aber und die Pflicht,
für das Recht der neuen Untertanen zu sorgen, übertrug er einem
Grenz= oder Markgrafen (Meißen soll „Grenzstadt“ bedeuten).
Später wurde Konrad von Wettin zum erblichen Markgrafen des
Meißner Landes (1123) erwählt. Das Geschlecht der Wettiner hat
den beschränkten Besitz in den folgenden Jahrhunderten mehrfach
erweitert. Aber der Keim zu unserem sächsischen Staate wurde mit
dem Grundsteine der Burg zugleich in den Schloßberg eingesenkt.
Nun haben wir ihn erstiegen, und unser Auge sucht die altberühmten
Mauern. Doch wir finden sie nicht mehr; denn an ihre Stelle ist
ein neues, schöneres Fürstenschloß getreten. Es wurde Ende des
15. Jahrhunderts aus Pirnaischem Sandstein errichtet, zeigt einen
Mittelbau, der für Wirtschaftszwecke verwendet wurde, und zwei
Flügel, von denen der eine als Herren-, der andere als Damenhaus
diente. Uber den umfangreichen Kellern steigt der ganze Bau in
sechs Stockwerken auf, die durch bandartige Simse für unser Auge
abgeteilt werden. In dem Hofraume des Schlosses, der auf unserem
Bilde nur vier Etagen und in den zugespitzten Formen der Dach-
fenster den gotischen Baustil zeigt, fällt uns besonders ein hervor-
springender, reich durchbrochener Mittelturm auf, der „große Wendel-