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sucht sein Brot zum Teil noch unter der Erde zu verdienen, fährt
in den Schacht und löst das Erz beim trüben Scheine der Blende.
Er sucht seine Nahrung aber auch auf der Erde zu erwerben,
bestellt den steinichten Acker mit Korn, Kartoffeln und Flachs, mäht
die wohlbewässerten Wiesen, rodet den dichten Wald, oder zieht das
Wasser nach seinem Mühl= und Schneidewerke. Er macht ferner
sein eigenes Heim zur Arbeitsstätte, schlägt den Webstuhl
in der Stube auf oder schnitzt Geräte und Spielwaren aus Holz.
Die Frauen sitzen am Klöppelsack oder an der Schnurenrolle, die
Kinder flechten Streifen aus Halmen oder nähen Gorl und fädeln
Perlen an. Der Gebirgsbewohner eilt auch in die Fabriken oder
Hammerwerke, um Platten zu schmieden, Bürsten zu binden, Papp-
schachteln, Schmuckkästchen oder Kisten zu fertigen. Ja, er zieht
wohl auch in die Ferne, um mit Bändern und Schnuren, mit Körben
und Weißwaren, mit Bürsten und Decken, mit Hemden und Jacken
zu hausieren und den Erlös dann mit den Seinen daheim zu
verleben. Selten ist freilich der Tisch mit kräftiger Fleischkost bedeckt,
vielmehr bilden Schwarzbrot, Kartoffeln und dünner Kaffee, mit ge-
branntem Gersten-, Möhren= oder Rübenzusatze gemischt, die Mahl-
zeiten des Tages. Kein Wunder, daß durch diese dürftige Kost,
durch die Arbcit in Schächten, Stuben und Fabrik-
räumen, durch die sitzende Lebeusweise und manche
Entbehrung der kräftige Menschenschlag des Erz-
gebirges, den wir noch in den derben Waldarbeitern
und den nervigen Schmieden der Eisenwerke erkennen,
geschwächt worden ist, und daß manche bleiche Wange,
manche hagere und gedrückte Gestalt im Gebirge uns
begegnet, wenn auch nicht zu verkennen ist, daß der
Aufschwung des Gewerbes schon vielfach bessere
Lebensverhältnisse im Gebirge geschaffen hat und
noch gegenwärtig schafft.
5. Trotz mancher Entbehrung und Not sind aber Geist
und Herz des Erzgebirgers immer noch frisch und unverfälscht
geblieben. Vertraulich erschließt er seine Gedanken dem Freunde
und Fremden; selbstlos nimmt er teil an Leiden und Frenden des
Nachbars; friedlich und still wohnt er mit den andern Familien
unter einem Dache; traulich hält er Zwiesprach mit den Seinen;
herzlich pflegt er die Blume am Fenster, die Ziege im Stalle und
den Sänger im Bauer. Bei alle diesem pestelt und pitzelt er im
Hause, um sich sein Heim zu verschönern oder die Kinder zu erfreuen.
Gemächlich und gemütlich angelegt, spannen die Alten freilich
selten den Willen zu tatkräftigem Handeln an. Doch rafft sich auch
im Gebirge die Jugend zu planvollem Arbeiten, zu genossenschaftlichen
Betrieben (z. B. landwirtschaftliche Zucht-, Ankaufs-, Verkaufs-
genossenschaften), zum Ubergehen in andere Erwerbszweige, zur
zeitgemäßen Bewirtschaftung der Felder und Wiesen auf. Neben
der Gemütlichkeit ruht eine gewisse geistige Lebendigkeit und Heiterkeit