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über 7000 Wohnhäusern zusammenfügt. Uber die Hänsermasse aber
ragt ein Wald von Schornsteinen auf, denen Rauchsäulen ent-
quellen, die sich bei trübem Wetter schleierartig über die Dächer
breiten. Statt des segnenden Regens aber schlägt sich rußiger Staub
aus ihnen in die Straßen nieder, dunkelt die Häuser und beschwert
die Fußgänger. Deun zwischen den Häuserreihen rollt nicht bloß der
schwerfällige Lastwagen, der keuchende Dampfzug und der flüchtige
Wagen der elektrischen Bahn dahin, sondern vor allem ziehen Scharen
von Arbeitern in langen Zügen nach oder von den Fabriken. Gehen
wir mit ihnen heimwärts, so gelangen wir in vielstöckige Arbeiter-
häuser, die ohne viel Gliederung und Schmuck in langen Reihen dem
Boden entsteigen. Gehen wir mit ihnen zum Tagewerke, so führen
sie uns zu einem der ausgedehnten Fabrikgebäude. Aus den
langgezogenen Fensterreihen derselben blinkt und klingt uns das
Räderwerk der Maschinen entgegen. Ein breiter Torweg leitet uns
in den umfänglichen Hofraum, der als Lagerplatz Kisten und Ballen
birgt. Durch breite Türen treten wir in die weiten Arbeitssäle ein,
in denen Hunderte von Händen sich fleißig regen. Solchen gleich-
artigen, nüchternen Häusermassen gegenüber erscheint der Schiller-
platz mit seinen Baum= und Rasengruppen, oder der Schloßteich
mit den Inseln und grünen Wasserrändern, oder der neue Stadt-
park mit seinen lauschigen Gängen dem Ange wie eine Oase in der
Häuserwüste. Für die Bewohner aber werden sie zu „Lungen“ (nach
englischem Ausdrucke) des großen Fabrikortes, als welchen
wir die Stadt Chemnitz in Form und Färbung der
Häuser, in Anlage und Ausbreitung der Straßen, in
der Fülle der Schornsteine und den Scharen der Arbeiter
nnn erkannt haben.
3. Um den inneren Betrieb der wichtigsten Fabrikanlagen kennen
zu lernen, treten wir zunächst in die Aktienspinnerei ein. Diese
ist ein palastähnliches Gebäude, in dem ein Mittelbau weit vorspringt.
An ihn fügen sich rechts und links zwei Längsflügel, die durch Eck-
türme ihren festen Abschluß erhalten. Von einer gewaltigen Dampf-
maschine mit mächtigem Schwungrade in Bewegung gesetzt und durch
Treibriemen mit dieser Kraftquelle verbunden, belebt sich mit einem
Schlage der tote Maschinenkörper. Nun wird die rohe Baumwolle
in den „Bläsern“ zerzaust und mit solcher Geschwindigkeit hin und
her geschleudert, daß ihr Samenköruchen und Fruchthülsen entfliegen.
Ist sie auf diese Weise gereinigt, so wird sie durch andere Vorrichtungen
geschlagen und in feste Lagen gepreßt. Darauf lockert die Krempel-
maschine das Gefüge wieder zu weichem Wollenschnee auf, der nun
von den Spinnmaschinen ergriffen, von 100 Tausend Spindeln
nach und nach zu einem immer festeren Faden gedreht und schließlich
als Garn auf Spulen gewickelt wird. Und während die Maschinen
unaufhörlich klappern und sausen, um in kunstvoller Einrichtung
die langsamere Arbeit der Menschenhand zu übernehmen, werden sie
von Arbeitern aufmerksam bedient, die ihren Gang bald ab-, bald