Full text: Landeskunde des Königreiches Sachsen. Ausgabe A.

Hörchen alle nach einer Seite hinlegen. Da sie aber von ungleicher 
änge sind, werden ihre Spitzen durch Schermesser gekürzt. Der 
schöne Glanz wird dem Tuche dann endlich noch im Wärmeraume 
durch Behandlung mit Dampf oder heißem Wasser gegeben. Auf 
diese Weise hat sich unn über das eigentliche Fadengewebe ein dünner, 
filzartiger und glänzender Uberzug gebreitet, der durch längeres 
Tragen des Tuches freilich wieder schwindet, sodaß es „fadenscheinig“ 
wird. In der Verfertigung leichter Sommer= und schwerer Winter- 
tuche aber ist die Stadt Crimmitschan eine Meisterin, und wir 
merken sie daher als die Stadt der Tuchfabrikation (23 T.) 
im westlichen Kohlenbecken an. 
6. Nun suchen wir noch als vierte Fabrikstadt an der westlichen 
Grenze des Kohlenbeckens die Stadt Werdau (20 T.) auf. Wir 
treffen sie ebenfalls an der Pleiße, die hier ein tieferes Tal in den 
Boden gräbt. Ihre Ufer sind mit schmucken Dörfern reich besetzt, 
die sich durch ihr Aussehen sofort als Fabrikdörfer verraten, 
obgleich sich die Häuser unter den grünen Laubkronen der Obstbäume 
verbergen. Durch diese Dörfer gelangen wir flußaufwärts nach 
Werdau, dem Sitze der sächsischen Vigognespinnerei und -Weberei. 
Die echte Vigogne freilich ist die Leibwolle zierlicher Lamas, die 
Grudelweise auf den höchsten Bergen Südamerikas an der Grenzlinie 
des ewigen Schnees schweifen. Sie gibt ein bräunliches, seidenartiges 
Haar, das nicht nur in den Heimatländern der Tiere selbst, 
sondern auch in den Fabriken Deutschlands versponnen und zu 
den leichten Lamastoffen verwebt wird. Um für unsere Spinnereien 
und Webereien eine ähnliche zarte Wolle zu erhalten, wurde 
in Sachsen schon im vorigen Jahrhunderte die Zucht spanischer 
Merinos eingeführt. Heutzutage aber mischt man Baumwolle mit 
der Wolle der Schafe, um die künstliche Vigogne zu erhalten 
und diese zu feineren Rock= und Hosenstoffen unter verschiedenen 
Namen, z. B. als Buckskin, zu verwenden. So ahmt die Kunst- 
spinnerei und -Weberei in Werdaualso nicht bloß nach, 
was die Natur in ihren Mustern schafft, sondern sie 
vermehrt auch zugleich deren oft spärlich fließende 
Gaben. 
Schlußzusammenfassung: Wir haben heute im Westen 
unseres Kohlenbeckens vier Städte gefunden, die früher mit Manern, 
Türmen und Toren bewehrt waren und ein Festungsviereck 
bildeten; in denen nach dem Falle der Wälle heute die Dampfspindel 
schwirrt und das Dampfschifschen fliegt, so daß ein Fabrikviereck 
aus ihnen geworden; die gegenwärtig unter einander durch Schienen= 
stränge verbunden sind, so daß sie auf der Karte als ein Bahn- 
viereck erscheinen; die trotz ihrer gemeinsamen Züge aber doch ihre 
Selbständigkeit wahren und sich in der Weise paarig zeigen, daß 
Werdan die Fabrikstadt für Vigogne, Crimmitschau die Fabrikstadt 
für Tuche, Meerane die mehr nüchterne, Glauchau die mehr 
schmucke Fabrikstadt ist.
	        
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