Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiter Jahrgang. 1861. (2)

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Deutschland (ohne Preußen). 
— Januar. Denkschrift des Herzogs von Koburg-Gotha an einen öster- 
reichischen Staatsmann: Bundesreformplan, dessen Ausführbarkeit 
er „jetzt und ohne große Zuckungen als für Alle möglich“ erklärt: 
„Der Kaiser von Oesterreich und der König von Preußen sollten sich da- 
hin einigen: 1) Daß das jetzige Bundesverhältniß, gegründet auf die Bun- 
desacte, aufzuhören habe. 2) Daß sämmtliche Staaten des bisherigen Bundes 
so weit in ein neues Bundesverhältniß treten, als sie germanisches Element 
in sich tragen. (Hienach würde der neue Bund bestehen aus. Preußen ohne 
Posen, Oesterreich, so weit es jetzt zum deutschen Bunde zählt, sämmtlichen 
Mittel- und Kleinstaaten, Luxemburg und einem um einen Theil von 
Schleswig zu vergrößernden Holstein als selbständigen Herzogthümern. Ob 
und wie weit den deutsch-österreichischen Ländern eine besondere Berücksichti- 
gung bei Regelung dieses Bundesverhältnisses zu Theil werden soll, würde 
natürlich den weiteren Verhandlungen anheimzustellen sein). 3) Eine Central- 
gewalt würde zu gründen sein, gebildet aus einem Fürstencollegium unter 
dem alternirenden Ehrenvorsitz der Kronen Oesterreich und Preußen. 4) Bei 
den von dem Fürstencollegium als Centralgewalt zu fassenden Beschlüssen 
würde auf das rein deutsche Machtverhältniß der Stimmgebenden entscheiden- 
des Gewicht zu legen sein. 5) Dieser Centralgewalt zur Seite würde ein 
Parlament stehen, gebildet aus ständigen Ausschüssen der obengenannten 
Bundesstaaten nach Verhältniß ihrer Bevölkerung. 6) Die Oberaufsicht und 
das Oberkommando des Bundesheeres, sowie die Gesammtvertretung des 
neuen Bundes nach Außen, würde der Centralgewalt zustehen. Natürlich 
wäre einem jeden der Bundesstaaten unbenommen, Familiengesandte an ir- 
gend welche Höfe zu senden. 7) Ein Bundesschiedsgericht für Differenzen 
innerhalb der Bundesstaaten wäre zu errichten. 8) Mit der Krone Oester- 
reich, als selbständiger europäischer Großmacht, würde Preußen im Verein 
mit dem neuen Bunde einen bleibenden unauflösbaren Vertrag zu schließen 
haben, in welchem Oestereich für alle Zeiten der Besitz seiner Länder garan- 
tirt würde, während wieder umgekehrt Oesterreich sich zu verpflichten hätte, 
mit seiner Gesammtmacht für den Territorialbestand Preußens und des Bun- 
des einzustehen. 9) Preußen sowohl wie Oesterreich verpflichten sich, ohne 
ihre gegenseitige Einwilligung keinerlei Kriege zu führen, bei denen deutsche 
Interessen gefährdet werden“. 
Denkschrift: „Es muß ein Plan gefunden werden, entsprechend dem berech- 
tigten Verlangen der germanischen Völkerstämme, nach außen hin als Nation 
in Macht und Ehren auftreten zu können, nach innen über die eigenen Ange- 
legenheiten gehört zu werden, ohne daß die territorialen Abgrenzungen, an 
denen die Stämme hängen, verschwinden. Es muß dabei die zweifache 
Rücksicht vorwalten, daß Oesterreich nicht aus Deutschland verdrängt werde, 
aber auch umgekehrt, daß die außerdeutschen Interessen jener bedeutenden 
Großmacht nicht hemmend auf die Entwicklung der rein deutschen Verhält- 
nisse einwirken können. Preußen muß so mit Deutschland verschmolzen 
werden, daß preußische Interessen sich nicht mehr von deutschen scheiden 
lassen. Oesterreich muß in Deutschland, Deutschland in Oesterreich einen 
Schutz, einen Alliirten haben. — Aber lassen Sie mich es offen aussprechen: 
ohne die dringende Nothwendigkeit eines Augenblicks, in welchem alle Ver- 
hältnisse, interne und externe, in Frage stehen, wird man freilich weder in 
Wien noch in Berlin sich gern mit der Lösung dieser Aufgabe beschäftigen. 
Betrachten wir hiernach die weitere Frage: Was soll dann werden? 
Ein richtiges Bild zu entwerfen, dürfte nicht schwer werden. Oesterreich 
wird, wenn es von Osten oder Westen aufs neue bedroht wird, — was in 
nicht zu ferner Zukunft liegen dürfte, — in dem von Preußen gänzlich 
lahmgelegten Bund Allianzen mit größeren und kleineren Bundesfürsten zu 
schließen suchen. Preußen wird in seiner Großmachts- und Neutralitäts-
	        
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