Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

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Preußen. 
Parteien theils in der Zersetzung, theils in der Umbildung, theils in der 
kaum begonnenen Entfaltung begriffen waren. Angesichts dieser Zustände 
mußte das Ministerium seinen ersten Beruf in der Hingebung an die großen 
von der jeweiligen Parteigestaltung unabhängigen, unwandelbaren Aufgaben 
jeder preußischen Regierung erblicken. Es konnte nicht gewillt sein, die Lö— 
sung dieser Aufgaben von dem ferneren Verlaufe der Entwickelung der poli— 
tischen Parteien abhängig zu machen, und mußte deshalb nur um so mehr 
die Nothwendigkeit erkennen, die Einheit und energische Zusammen- 
fassung des ganzen Verwaltungs-Organismus, für dessen 
kräftige und heilbringende Action das Ministerium die Verantwortlichkeit 
trägt, gegen ein zuträgliches Eingehen auf regierungsfeindliche Wahlagitatio- 
nen sicher zu stellen. Die Staatsregierung weist mit aller Entschiedenheit 
den Vorwurf zurück, den erhabenen Namen Sr. Majestät des Königs auf 
ungehörige Weise in den Streit der Parteien gezogen zu haben. Sie hat 
nur die Pflicht erfüllt, dem Lande die Entschließungen Sr. Majestät kund 
zu thun und einer das zulässige Maß überschreitenden Verwickelung der be- 
sonderen Organe der königlichen Executive in die Agitationen der Parteien 
vorbeugen zu wollen. Die freie Ausübung des Wahlrechts ist den Beamten 
nicht verkümmert worden. 
„Das Staatsministerium ist sich der Verpflichtung bewußt, dem Lande 
den Segen einer gerechten, thatkräftigen und wohlwollenden Verwaltung, frei 
von jeder tendenziösen Hemmung der freien Entwickelung geistiger und ma- 
terieller Interessen zu erhalten. Es wird daher, den Allerhöchsten Intentio- 
nen gemäß, in freisinniger aber besonnener Weise die weitere Durch- 
führung der Verfassung zu fördern und die Schwierigkeiten, welche 
auf diesem Wege liegen, mit Ruhe und Festigkeit zu überwinden haben. Es 
wird dic verfassungsmäßigen Rechte der Krone pflichtgemäß wahren, die 
Rechte beider Factoren der Landesvertretung mit Loyalität und Gewissenhaf- 
tigkeit achten und jede eintretende Differenz im Geiste gemeinsamer Hinge- 
bung für Thron und Vaterland zu schlichten sich angelegen sein lassen, in 
der unerläßlichen Voraussetzung, auch bei der Landesvertretung gleicher Ge- 
sinnung zu begegnen.  - 
„Das war der Standpunkt der gegenwärtigen Regierung, als sie die Lei- 
tung der Geschäfte übernahm. In diesem Geiste ist der Landtag berufen 
und eröffnet worden. In diesem Geiste wird die Staatsregierung ihre Auf- 
gabe ferner zu lösen trachten, unbeirrt durch die einseitigen Bestrebungen der 
Parteien, wie durch die falsche Auffassung ihres Standpunktes und ihrer 
Handlungen. Redlich bemüht, diese zu berichtigen und jene zu bekämpfen, 
hält das Staatsministerium an der Hoffnung fest, zum Heil des Vaterlan- 
des das Vertrauen zu rechtfertigen, durch welches dasselbe in entscheidender 
Stunde berufen worden ist“. 
Bei der nun folgenden Adreßdebatte liegen dem Hause der An- 
trag der Commission (Entwurf von Twesten) und die Gegenent- 
würfe v. Vincke und von Sybel, sowie zwei Amendements von 
Reichensperger und von Bresgen vor. Das Resultat der Debatte 
ist, daß der Gegenentwurf von Vincke und das Amendement von 
Reichensperger verworfen und dagegen der von der Commission be- 
antragte Entwurf mit dem Amendement von Bresgen, so wie mit dem 
Zusatzantrag Sybels bezüglich Kurhessen (dieser mit 253 gegen 55 
Stimmen) und zwar schließlich der so modificirte Entwurf im Ganzen 
mit 219 gegen 101 Stimme (von der äußersten Linken, der Rechten 
und der Fraction Vincke) angenommen wird. Die Adresse lautet: 
„Im Beginne unserer Verhandlungen legt uns die unverbrüchliche Treue
	        
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