Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechster Jahrgang. 1865. (6)

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Deutschland. 
Einige andere preuß. Abgeordnete motiviren ihr Nichterscheinen in Frankfurt 
durch förmliche Absagebriefe: Twesten, Mommsen, Jung. Absagebrief Twe- 
stens:  „... Die Majorität des preußischen Abgeordnetenhauses hat diese Politik 
nicht gewollt. Wir haben neben der Trennung der Herzogthümer von Däne- 
mark ein ihrem Recht und ihrem Willen entsprechende Constituirung derselben 
gewünscht, dabei freilich eine Unterordnung unter Preußen in militäri- 
scher und maritimer Beziehung vorausgesetzt, als die einzige Form, 
in welcher ihre Kräfte für Deutschland nutzbar werden können. Wir können 
auch jetzt nicht damit einverstanden sein, daß über ein deutsches Land ohne 
dessen Zustimmung disponirt, daß es als willenloses Object der Cabinetspolitik 
behandelt wird. Aber wir haben nicht bloß das Selbstbestimmungsrecht des 
Volkes in Deutschland, nicht blos die Rechte des Volkes den Negierungen gegen- 
über, wir haben auch die Machtstellung unseres Staates ins Auge 
zu fassen und können uns nie an Schritten betheiligen, welche sich nicht 
blos gegen die augenblicklichen  Machthaber, sondern gegen 
den preußischen Staat wenden, welche darauf abzielen, Preu- 
ßen eine Niederlage zu bereiten. Ich hielt es im Februar v. J. 
für gebeten, nicht mehr an dem Sechsunddreißiger-Ausschuß Theil zu nehmen, 
als er das übrige Deutschland gegen Preußen aufrief. Aehnlich liegt 
die Sache jetzt. Wir ziehen jede Alternative einer Niederlage 
des preußischen Staates vor. Wir thun das nicht bloß in preußi- 
schem, sondern auch in deutschem Interesse, weil wir durch den Verlauf der 
neuesten Ereignisse nur in der Ueberzeugung bestärkt sind, daß es keine 
Macht gibt, die für Deutschland etwas leisten und wirken 
kann, als Preußen. Eine Gefahr von Schmach und Schande dem Aus- 
lande gegenüber, eine Gefahr der Einmischung desselben liegt nicht vor. Eine 
solche Gefahr würde nur entstehen, wenn die vagen von ferne gegen Preußen 
eingegebenen Gedanken eines Deutschland ohne Preußen Realität gewinnen 
könnten. Darauf gerichtete Pläne würde ich für verderblich halten, wenn sie 
nicht ohnmächtig wären. Bei der jetzigen Sachlage fürchte ich, daß Verhand- 
lungen preußischer und süddeutscher Abgeordneten über die schleswig-holsteini- 
sche Sache entweder resultatlos verlaufen, oder den Bruch zwischen dem Norden 
und Süden Deutschlands unheilbar erweitern würden. Daher halte ich es 
für gerathen, daß die preußischen Abgeordneten dem gegen ihre Wünsche berufenen 
Abgeordnetentage ferne bleiben. Den Muth, für Recht und Freiheit einzutreten, so- 
wohl der eigenen Regierung wie populären Strömungen gegenüber, haben Manche 
von uns bewährt und werden ihn ferner bewähren. Die Voraussetzung einiger 
süddeutscher Zeitungen, als ob wir aus Furcht vor unserer Regierung zurück- 
bleiben möchten, muß ich zurückweisen und ebenso die Voraussetzung, daß die 
Ausbleibenden den etwaigen Beschlüssen der Erschienenen zustimmten. Die 
Mehrheit der preußischen Abgeordneten wird niemals Be- 
schlüssen zustimmen, welche gegen die Macht und die Zu- 
kunft des preußischen Staates in die Schranken treten.“ 
Die preußischen Abgeordneten Harkort und Frese erlassen nachher förmliche 
Proteste gegen die Erklärungen Twestens; Erklärungen Grootes und Virchovs. 
Erklärung von 15 nicht erschienenen österr.  Abgeordneten  
(meist aus Steiermark): „Angesichts der nunmehr durch die Erfolge der 
Waffen Oesterreichs und Preußens bewirkten Lostrennung Schleswig-Hol- 
steins von Dänemark, Angesichts der seither in den Herzogthümern geschehenen 
Gewaltschritte, Angesichts der durch die Gasteiner Convention neuerlich ge- 
schaffenen, die Rechte Schleswig-Holsteins gefährdenden provisorischen 
Zustände, endlich Angesichts der aus Anlaß derselben erfolgten Einladung der 
Mitglieder deutscher Landesvertretungen zu einer Versammlung in Frankfurt 
am 1. October d. Js., an welcher theilzunehmen die Unterzeichneten aus 
nicht näher zu erörternden Gründen sich nicht bestimmt finden, er- 
klären die Unterzeichneten, daß sie an den Rechtsanschauungen, welche in der