Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechster Jahrgang. 1865. (6)

170 Preußen. 
Redefreiheit des Abg.-Hauses. Das Haus erhebt den Antrag zum 
Beschluß, indeß in der von Waldaw-Steinhövel vorgeschlagenen Form, 
die von einem neuen Gesetz absieht und von der Staatsregierung 
Vorkehrungen zur strafrechtlichen Verfolgung von Injurien, Verläum- 
dungen ꝛc. im Abg.-Hause „innerhalb der Gränzen der bestehenden 
Gesetze“ verlangt. 
Erklärung des Ministerpräsidenten: „Die Staatsregierung ist 
der Ansicht, daß ein Privilegium zu Beleidigungen und Verläumdungen in 
Preußen nicht bestehen sollte, oder doch nur so lange geduldet werden könnte, 
als das sittliche Gefühl sich nicht stark genug erweist, um die Ausübung eines 
solchen Privilegiums zu verhindern. Die Regierung hat den Eindruck, daß 
diese Prämisse nicht mehr zutrifft und daß sie deshalb der Frage: besteht ein 
solches Privilegium bei und oder nicht, näher treten muß. Wenn es bestände 
und benutzt wird, so brauche ich nicht nachzuweisen, daß es der Gerechtigkeit, 
der Vernunft, der Würde des Landes widerspricht. Ich gebe gern zu, daß 
die Versuche, erfahrungsmäßig zu ermitteln, ob die Gerichte das Bestehen 
eines solchen Privilegiums anerkennen, bisher noch nicht erschöpfend genug 
ausgefallen sind. Nach dem Amendment von Waldaw wird die Existenz des 
Uebelstandes bezweifelt und der Regierung anheimgegeben, der Frage, ob die 
Gerichte die Verfassung so auslegen, daß volle Straflosigkeit für Injurien und 
Verbrechen, so weit sie durch das Wort begangen werden können, existirt, näher 
zu treten und sie genauer und sicherer als bisher zu ermitteln. Die k. Re- 
gierung ist bereit, diesen Weg zu betreten. Sollle sich dabei heraus- 
stellen, daß dennoch nach den Erkenntnissen der k. Gerichte dieses Privilegium 
ad usum besteht, so wird die Regierung bestrebt sein, auf dem gesetzmäßigen 
Wege einzutreten, seine Abschaffung anzubahnen und hofft alsdann bei dieser 
Bemühung auf die Unterstützung dieses Hauses“. 
15. Juni. Die Regierung versagt drei Wahlen der Stadtverordneten von 
Berlin in den Magistrat, ihrer politischen Gesinnung wegen, ihre 
Genehmigung und behält sich vor, für einen der Nichtbestätigten 
einen k. Commissär in den Magistrat zu senden. Einen derartigen 
Vorgang hat Berlin seit 1808 nicht erlebt. 
16. „ Das Abg.-Haus lehnt den Antrag v. d. Heydt auf Beschränkung 
der Redefreiheit mit allen gegen 16 (feudale) Stimmen ab. 
„ „ Das Herrenhaus lehnt das Budget, wie es aus den Berathungen 
des Abg.-Hauses hervorgegangen ist, wieder mit großer Mehrheit ab, 
nimmt aber diesmal davon Umgang, dafür einfach die Regierungs- 
vorlage herzustellen, sondern beschließt, „die Regierung zu ersuchen, 
die zur heilsamen und Preußens Ausgaben entsprechenden Fortfüh- 
rung der Staatsverwaltung erforderlichen Ausgaben als Verwaltungs- 
norm festzustellen und dieselbe wie auch die Staatseinnahmen für das 
Jahr 1865 zur öffentlichen Kenntniß zu bringen". — Auf den An- 
trag des Grafen Arnim-Boytzenburg beschließt hierauf das Herren- 
haus mit großer Mehrheit: 
„In Erwägung, daß die volle Ausbildung der deutschen Wehrkraft zur 
See nur durch die dauernde Sicherstellung ihrer Hilfsquellen, die Bürgschaft 
gegen die Erneuerungen kriegerischer Verwicklungen in den Elbherzogthümern, 
sowie die Sicherheit Preußens an seinen nordwestlichen Grenzen aber nur 
durch einen engen Anschluß jener Landestheile an Preußen zu erreichen ist, 
ohne deshalb die Selbständigkeit eigener Verwaltung in den Herzoghtümern