108 Preußen und der norddeutsche Bund.
nur ein vorübergehendes, kein lebensfähiges sei. (Bravo.) — Abgeordneter
v. Blanckenburg (Conservativ): Wir sind doch ganz gewiß nicht hieher
gekommen, uns gegenseitig Sand in die Augen zu streuen. Das Amende-
ment des Herzogs v. Ujest ist völlig unannehmbar. Das hat schon die Rede
des Abg. Gneist in der Vorberathung klar gelegt. Auch ich will das Budget-
recht keineswegs preisgeben; aber ich will auch nicht, daß der Landtag künftig
mit einem Budgetstrich die Kopfzahl in Frage stellen kann. — Graf Bis-
marck: Ich habe mir gestern vorbehalten im Laufe der Discussion bei den
betreffenden Artikeln diejenigen Amendements zu bezeichnen, welche den Be-
dingungen der von den verbündeten Reglerungen gefaßten Beschlüsse ent-
sprechen. In diesem Sinn würde das Amendement Stolberg mit den von
den verbündeten Regierungen gefaßten Beschlüssen übereinstimmen, und die
Vertreter der verbündeten Regierungen verpflichtet sein an demselben festzu-
halten. Das Amendement des Herzogs von Ujest läßt allerdings die Mög-
lichkeit zu, daß auf dem Wege, den der Abgeordnete für Hagen angedeutet
hat, im Jahr 1872 ein Budget-, ein Militärconflict sich erneuern kann,
dessen Folgen sich in diesem Augenblick noch nicht übersehen lassen. Wer
daher entschlossen ist diesen Conflict zu verhüten, muß in dieser Frage mit
uns für das Amendement Stolberg stimmen. — Abg. Graf Bethufy-Huc
(Freiconservativ) würde für das Amendement Stolberg stimmen, wenn Graf
Bismarck positiv erklärt hätte, daß davon das Zustandekommen des Ver-
fassungswerkes abhänge. So aber werde er fest auf seinem Standpunkte
verharren, zumal ihn die Casuistik des Herrn v. Vincke nicht habe belehren
können. — Dem Grasen Bismarck ist es unverständlich, wie der Vorredner
seine Ueberzeugung von dem, was gut und was besser sei, den kategorischen
Erklärungen der Regierungen unterordnen könne. „Wir befinden uns jetzt
nicht in dem Stadium, in welchem ich eine bestimmte Erklärung im Namen
der verbündeten Regierungen über das Amendement des Herzogs v. Usrs
abgeben kann. Ueber das Amendement Stolberg haben wir uns verständigt.
Mit dessen Annahme wird die Annahme der Verfassung in sichere Aussicht
gestellt. Wird es verworfen, so werde ich den verbündeten Regierungen und
Sr. Maj. dem König zu berichten und deren Entscheidungen zu gewärtigen
haben. Aber diesen Entscheidungen kann ich nicht vorgreifen.“
Bei der Abstimmung wird das Amendement Stolberg unter
Namensaufruf mit 167 gegen 110 Stimmen abgelehnt. Für den
Antrag stimmen nur die Conservativen und Altliberalen. Zwei
Mitglieder haben sich der Abstimmung enthalten. Zu Art. 58 liegt
außer dem Amendement des Herzogs Ujest das Amendement des
Grafen Stolberg vor: statt der Worte „bis zum 31. Dec. 1871"“
zu setzen „bis zum Erlaß eines Bundesgesetzes“ und vom Grafen
Otto Stolberg ein Unteramendement zu dem Antrag Ujest, welches
den eben verworfenen Antrag hier wieder einschieben will.
Abg. Schulze (Berlin) erklärt sich mit aller Entschiedenheit gegen beide
Amendements. „Selbst mit der Annahme des Amendements Ujest bekommen
wir eine Regierung halb absolntistisch, halb constitutionell. Eine bessere
Saat für Conflicte können Sie gar nicht ausstreuen. Sie schaffen keine
Volksvertretung, sondern nur eine Scheinvertretung, kelne Garantie der
Volksrechte, sondern eine Garantie des Absolutismus, weil Sie diesem das
Siegel des Volkswillens aufdrücken. Die Möglichkeit eines Conflicts liegt
eben im Princip des constitutionellen Systems. Die Wähler haben uns nicht
hieher geschickt, daß wir ihnen von ihren mäßigen Rechten noch mehr ab-
schneiden.“ Zum Schlusse wendet sich Redner gegen die gestrigen Ausführ-
ungen des preußischen Ministers des Innern und die innere preußische Politik.