210 Die süddeutschen Staaten.
Partei bleibt auf wenige Stimmen beschränkt, fast überall werden
die Candidaten der national-liberalen Partei meist mit sehr großer
Mehrheit gewählt.
— Sept. (Bayern). Von Passau aus wird ein ultramontaner Adressen-
sturm gegen die zweite Kammer, „in deren Majorität die Unter-
zeichner die Vertreter des Landes nicht mehr erblicken“ und deren
Auflösung noch vor ihrem Wiederzusammentritt vom Könige erbeten
wird, organisirt. Die Zahl der Adressen steigt allmälig über tausend
(angeblich von ebenso viel Gemeinden).
Zu derselben Zeit bildet sich in Regensburg unter Leitung des
Dompfarrers Schödel ein Comité behufs Organisirung einer Agita-
tion des Clerus aller Diöcesen des Landes gegen das von der Re-
gierung projectirte Schulgesetz, mit dem Plan, eine Generalversamm-
lung des gesammten kath. Clerus Bayerns gegen dieses Project zu
veranstalten.
5. „ (Baden). Eröffnung des Landtags. Thronrede des Groß-
herzogs:
„Der deutsche Bund ist durch den Krieg des vorigen Jahres zerfallen;
die Präliminar= und Friedensverträge zwischen Preußen einerseits und Oester-
reich und den süddeutschen Staaten anderseits haben seine Auflösung rechtlich
bestätigt, Preußen an die Spitze des norddeutschen Bundes gestellt und den
süddeutschen Staaten vorbehalten, eine nationale Einigung mit diesem Bunde
einzugehen. Mein Entschluß steht fest, dieser nationalen Eini-
gung unausgesetzt nachzustreben, und gern werde ich, und wird
mit mir mein getreues Volk die Opfer bringen, die mit dem Eintritte
in dieselbe unzertrennlich verbunden sind. Sie werden reichlich
aufgewogen durch die volle Theilnahme an dem nationalen Leben und die
erhöhte Sicherheit für die freudig fortschreitende innere Staatsentwicklung,
deren Selbstständigkeit zu wahren siets Pflicht meiner Regierung sein wird.
Ist auch die Form der nationalen Einigung Süddeutschlands mit dem nerd-
deutschen Bunde noch nicht gefunden, so sind doch schon bedeutungsvolle
Schritte zu diesem Ziele gethan. Schon im August vorigen Jahres wurte
gleichzeitig mit dem von Ihnen bereits genehmigten Friedensvertrage ein
Ihnen vorzulegendes Schutz= und Trutzbündniß mit Preußen akgeschlossen,
welches beide Staaten zur gemeinschaftlichen Abwehr eines Angriffes gegen
deutsches Gebiet verpflichtet und für solchen Fall meine Truppen unter die
bewährte Führung des Königs von Preußen stellt. Dank dieser Uebereinkunft,
die mit gleichem Inhalte auch zwischen den anderen süddeutschen Staaten
und Preußen besteht, ist die erste und dringendste nationale Forderung er-
füllt: Abwehr jedes Angriffs von Außen mit den geeinigten Kräften Aller
unter einheitlicher Führung. Meine Regierung betrachtet es als ernste Pflicht,
durch Einführung einer der norddeutschen analogen Wehrverfassung und Heerts-
einrichtung dem Bündnisse mit Preußen seine volle Kraft und Bedeutung zu
geben. Diese tief eingreifende Neuerung erlangt dadurch cine gesteigene
Wichtigkeit, daß es mir gelungen ist, in der Stuttgarter Conferenz mich mit
den Souveränen der anderen süddeutschen Staaten über eine gleichmäßige
Behandlung der Militärfrage zu verständigen. Durch den Berliner Vertrag
vom 8. Juli d. J. ist der Zollverein auf's Neue befestigt, und mehr als
dieß, er hat eine wesentlich verbesserte Organisation erhalten, welche es er-
möglicht, ohne gewaltsame Krisen den rasch wechselnden Bedürfnissen des