Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

                   Die sũddeutschen Staaten.                           223 
dem Grade der Selbstständigkeit, welchen diese Staaten sich zu er- 
halten berechtigt und — wie ich annehmen darf — ihrer überwiegenden 
Mehrheit nach auch entschlossen sind. Die freie constitutionelle Entwicklung 
Süddeutschlands, wie sie sich seit 50 Jahren gestaltet hat, gibt dem süd- 
deutschen Volk zu diesem Entschluß das Recht und die Kraft. Es kann 
hiebei füglich unerörtert bleiben, in wie weit die Nikolsburger Präliminarien 
und der Prager Frieden einen berechtigten Grund abgeben würden, der Aus- 
dehnung der norddeutschen Bundesverfassung auf das gesammte Deutschland 
entgegen zu treten. Jene Verträge sind indessen unter Berücksichtigung 
realer Machtverhältisse abgeschlossen, deren Bedeutung derjenige nicht ver- 
kennen darf, der dazu berusen ist, mit gegebenen Thatsachen zu rechnen, und 
der verpflichtet ist, Alles zu vermeiden, was die Entwicklung der Geschicke 
unseres Vaterlandes in unberechenbar gewaltsame Bahnen leiten könnte. Die 
preußische Regierung hat zudem selbst erklärt, sie verlange die Verbindung 
mit dem Süden keineswegs auf derselben Grundlage, wie jene, auf welcher 
der Bund mit den norddeutschen Staaten beruht; es bedürse nur eines un- 
zweideutigen Ausdrucks der natienalen Gemeinschaft, welche gleichzeitig die 
Gewißheit gebe, daß die süddeutschen Staaten nicht einer feindseligen Tendenz 
gegen Norddeutschland verfallen und daß die Pflege der gemeinsamen ma- 
teriellen Interessen des deutschen Volkes durch gemeinsame organische Ein- 
richtungen sicher gestellt werde. Wenn demnach Gründe der äußern Politik 
sowohl, als Rücksichten auf die Erhaltung der Selbstständigkeit des Landes, 
die Verbindung Bayerns mit dem deutschen Norden auf der Grundlage der 
norddeutschen Bundesverfassung nicht möglich erscheinen ließen, so mußte 
die Staatsregierung einen andern Weg suchen, um diese Verbindung zu 
bewirken. Denn die Staatsregierung konnte und wollte sich der Aufgabe 
nicht entziehen, welche von mir am 23. Januar mit den Worten bezeichnet 
wurde: „durch vertragsmäßige Vereinbarung einen Zusammenschluß Deutsch- 
lands zu ermöglichen auf Grundlagen, die mit der Integrität des Staates und 
der Krone vereinbar sind.“ Es ließen sich hier drei verschiedene Wege 
denken. Einmal: die Bildung zweier Bundesstaaten, eines süddeutschen 
gegenürer dem norddeutschen, mit gemeinsamen Organen für einzelne 
bestimmte Zwecke. Zweitens: ein internationaler Bund aller einzelnen deut- 
schen Staaten, analog der früheren deutschen Bundesverfassung, und drittens: 
ein internationaler Bund der süddeutschen Staaten mit dem norddeutschen 
Bunde. Gegen den Versuch einer organischen Verbindung eines für sich be- 
stehenden süddeutschen Bundesstaates mit dem nördlichen Deutschland sprach 
die Abneigung derjenigen Staaten, mit welchen Bayern diesen süddeutschen 
Bundesstaat gründen müßte. Es sprach dagegen die Schwerfälligkeit eines 
Organismus, in welchem der Keim des Unfriedens gelegen hätte, und endlich 
die Gefahr der Weiterausbildung des Gegensatzes zwischen dem Norden und 
dem Süden von Deutschland. Die internationale Verbindung sämmtlicher 
deutschen Staaten auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrags war durch die 
Auslösung des früheren deutschen Bundes und durch den eben erst in's Leben 
getretenen norddeutschen Bundesstaat unmöglich geworden. Es konnte Preußen 
nicht zugemuthet werden, die norddeutsche Bundesverfassung, die Frucht seiner 
Siege, wieder aufzugeben. Es blieb akso der Staatsregierung kein anderer 
Weg, als auf die Wiedervereinigung Deutschlands hinzuarbeiten unter Aner- 
kennung der bestehenden Thatsachen. Diese Thatsachen liegen vor: in dem 
Austritt Oesterreichs aus dem Bunde, in dem festgeschlossenen norddeutschen 
Bundesstaate und in den auf sich selbst angewiesenen süddeutschen Staaten. 
Der Weg einer internationalen Verbindung der letzteren mit 
dem norddeutschen Bunde war also vorgezeichnet. Die Verbekingung 
zur Erreichung eines günstigen Resultats in dieser Richtung erblickte die 
Staatsregierung in einer Uebereinstimmung der süddeutschen Staaten unter 
einander über die Schritte, die zu geschehen hätten, sowie über die Zugeständ-
	        
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