286 Die süddeutschen Staaten.
deln, auf diesem Wege abstracte Principien zur Durchführung zu bringen,
sondern es ist der Boden der bestehenden Verfassung zum Ausgangspunkt für
diese Revision zu nehmen und von dieser festen und gegebenen Grundlage
aus die Uebereinstimmung mit den Forderungen der Gegenwart, so weit sie
als berechtigt anzuerkennen sind, herbeizuführen. Die Lösung dieser Aufgabe
hat der Entwurf unternommen. Mag seine Vorlage manchen Erwartungen
und Wünschen nicht entsprechen, so wird die unbefangene und umsichtige
Prüfung seines Inhalts zugeben müssen, daß der Entwurf bestehenden Ge-
brechen abhilst und unsere Landesvertretung durch ihn in der Hauptsache mit
dem in Einklang kommt, was die westere Entwickelung des constitutionellen
Lebens in Deutschland seit dem Bestehen unserer Versassung fordert. Nach
dem Entwurfe soll der Landesvertretung das Recht der Initiative für die
Gesetzgebung eingeräumt, und für die Art und Weise der Ausübung dieses
Rechtes nur das vorgesehen werden, was der Ernst und die Wichtigkeit dieser
Aufgabe sordert. In Uebereinstimmung und wesentlich in Consequenz der
gegebenen Grundlage hält der Entwurf an dem Zweikammersystem fest, das
auch alle anderen Staaten vom Umfang Württemberg's eingeführt haben.
Es wird aber eine entsprechende Umbildung der beiden den Landtag con-
stituirenden Kammern vorgeschlagen. In der zweiten Kammer kommt der
Entwurf durch die directe Wahl der Abgeordneten der Oberamtsbezirke
mittelst allgemeinen Stimmrechts und geheimer Abstimmung einer Forderung
der Zeit entgegen. Es ist dieses Wahlrecht an keine anderen Beschränkungen
als diejenigen geknüpft, die sich aus den rechtlichen Wirkungen erlittener
Strasen und der nicht vollkommenen Rechtsfähigkeit ergeben, während die
für die Ausübung des Wahlrechts selbst gegebenen Vorschriften nur den
Zweck haben, die allgemeine Betheiligung an der Wahl und die freie, von
keiner Seite beeinflußte und behinderte Wahl zu sichern. Die Frage, ob dle
Feststellung des Wahlergebnisses auch fernerhin nach den Majoritäten des
Bezirks oder nach den Majoritäten des Landes, letzteres im Anschluß an die
in der Wissenschaft erörterten Principien von Hare und Stuart Mill, zweck-
mäßiger erfolge, ist im Sinn der Beibehaltung der bestehenden Einrichtung
für die Wahl nach Wahlbezirken in der Erwägung entschieden worden, daß
die Frage wissenschaftlich noch weiterer Abklärung bedarf, ehe ihre Prin-
cipien in das Leben eingeführt werden können. Daß der Uebergang von
dem Wahlsystem der Verfassungsurkunde, das den Höherbesteuerten ein be-
deutendes Uebergewicht gegen die Niedererbesteuerten einräumt, zu dem allge-
meinen directen Stimmrecht ein bedeutendes Enigegenkommen gegen die For-
derungen der Zeit bekundet, kann Niemand in Abrede ziehen. Wenn aber
diesem Principe gemäß der Steuer bei der Wahl der Abgeordneten der Ober-
amtebezirke gar kein Einfluß und keine Bedeutung für das Wahlrecht einge-
räumt ist, während gleichwohl die der zweiten Kammer für Finanzfragen
schon seither zugestandene Prärogative auch fernerhin beibehalten werden Fen,
so ist es um so mehr geboten, der hervorragenden Steuerkraft des Landes,
sowie denjenigen Kirchen, deren Eigenthum unvermischt mit dem Staatsgut
verwaltet wird, ihre Vertretung in dieser Kammer zu sichern. Es sollen
deßhalb nach dem Entwurfe den nach dem allgemeinen Stimmrecht gewählten
Bezirksabgeordneten 24 von denjenigen Steuerpflichtigen gewählte Abgeordnete
an die Seite treten, welche wenigstens 100 fl. directe Staatssteuer entrichten.
Nach dem ungefähren Verhältnisse, in welchem die einzelnen Steuerquellen
zu der directen Gesammtstaatssteuer von Grundeigenthum und Gebäuden
einerseits und den Gewerben sowie sonstigem Einkommen andererseits bei-
tragen, sollen von diesen Abgeordneten 16 auf die erstgenannten und 8 auf
die zuletzt angeführten Steuerquellen entsallen. Die protestantische Kirche soll
durch 4 von der Landessynode gewählte, die katholische Kirche durch zwei ge-
wählte Abgeordnete vertreten werden, von welchen der eine durch die Mit-
glieder des Domkapitels, der andere durch die Geistlichkeit der Landkapitel ge-