Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

II. 
Oesterreich. 
1. Jan. Eine ausführliche Depesche des Frhrn. v. Beust an den österr. 
Botschafter in Paris, Fürsten Metternich, scheint eine ganz andere 
Stellung Oesterreichs in der orientalischen Frage als bisher einzu- 
leiten: 
Die Depesche geht davon aus, wie man sich unmöglich verhehlen könne, 
daß die Mittel, mit welchen man im Laufe der letzten Jahre den status quo 
im Orient aufrecht zu erhalten versucht habe, sich durchaus ungenügend er- 
wiesen hätten, um die steigenden Schwierigkeiten zu bewältigen, und constatirt 
zunächst, daß die Ereignisse auf Creta einen gewissen Nachlaß in der Wider- 
standskraft der Pforte anzuzeigen schienen, da es einem so geringfügigen 
Territorium möglich geworden sei, die muselmännische Macht so lange Zeit 
im Schach zu halten. Zugleich habe auch Europa seit dem Pariser Vertrag 
von 1856 wesentliche Aenderungen erlitten, namentlich haben die außerhalb 
der Türkei erfolgten Siege des Nationalitätsprincips nicht ermangeln können, 
auf die christlichen Bevölkerungen des türkischen Reiches mächtig zurückzuwirken. 
Die Stipulationen von 1856 könnten daher den Bedürfnissen der Gegenwart 
unmöglich mehr genügen. Die Pariser Conferenz selbst habe dieselben nicht 
aufrecht zu erhalten vermocht und im Gegensatz gegen dieselben sowohl die 
Vereinigung der beiden Donaufürstenthümer als die Wahl eines Fürsten nach 
dem Sturze Cousa's nachträglich zugestehen müssen. Die Depesche schlägt 
daher geradezu eine förmliche „Revision“ des Vertrags vom 30. März 1856 
vor. „Der Vertrag von Paris hat den Gedanken seiner Urheber bezüglich 
der Rechte der dem Sultan unterworfenen christlichen Völkerschaften im Un- 
gewissen (dans le vague) gelassen. Indem der Hat-houmajoum ausdrücklich 
erwähnt wird, hat der Vertrag den Bestimmungen dieses Aktes allerdings 
eine indirecte Bestätigung ertheilt. Allein die Allgemeinheiten, in denen sich 
der Firman bewegt und die zum Schutze der Rajahs bestimmten Institutionen 
lediglich fkizzirt, sind nicht geeignet, ernsthafte Garantien zu gewähren. Die 
erste Aufgabe einer Conferenz bestände demnach darin, diese Ungewißheiten, 
die beständige Quelle von Unzufriedenheit für die Christen der Türkei, zu be- 
seitigen. Alle dabei interessirten Mächte hätten sich ernsthaft mit der Frage 
zu beschäftigen, jede hätte den Standpunkt, von dem aus sie je nach ihrer 
besonderen Stellung die Verhältnisse aufzufassen geneigt ist, in's Licht zu 
stellen und diese verschiedenen Auffassungen würden dann in der Conferenz
	        
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