Oestrreich. 241
interesse als Ziel-- und Grenzpunkt unverrückt festzuhalten. Die Zeitverhält-
nisse, die Lage des Reichs ersordern es gleich unabweislich, daß die Ver-
handlungen über die Verfassungsfrage in der möglich kürzesten Zeit zu ihrem
Abschluß gelangen, und sonach die verschiedenen Rechtsanschauungen und An-
sprüche der Königreiche und Länder, welche nicht zur ungarischen Krone ge-
hören, unter dem stets leitenden Gesichtspunkt der Festigung des Bestands
der Monarchie in einer gemeinsamen Versammlung ihren Austrag finden.
Ein starres Festhalten an einem sormellen, die Verfahrungsweise in dem
Ausgleichswerk einzig und allein beherrschenden Gesichtspunkt würde die
Lösung der Aufgabe stören, das constitutionelle Princip — welches Wir ent-
schieden gewahrt und für die Zukunft gesichert wissen wollen — ernstlich
bedrohen, und der definitiven Regelung der innern staatsrechtlichen Verhält-
nisse gewichtige Hemmnisse entgegenstellen, so daß hierdurch die Gefahren für
den Gesammtstaat, anstatt gebannt, nur erhöht werden würden. Indem Wir
Uns daher bewogen fühlen die Vertreter der erwähnten Königreiche und
Länder zu einer außerordentlichen Reichsrathsversammlung zu berufen, und
die Berufung. auch auf Unser Herrenhaus ausdehnen, wollen Wir die Be-
achtung der Ansprüche, welche durch eine mehrjährige Wirksamkeit der Ver-
treter dieser Länder auf Grund der Bestimmungen des Reichsrathsstatuts
vom 26. Febr. 1861 erworben wurden, mit der Anerkennung des Rechts
verbinden, welches Unser Diplom vom 20. Ockt. 1860, bei Fragen vom ge-
meinsamen Interesse den Landtagen durch Enisendung ihrer Vertreter einräumt.
Es ist Unser Wille, daß die Zahl der zu entsendenden Mitglieder in jedem
Land derjenigen entspreche, welche das Gesetz über die Reichsvertretung fest-
setzt, und daß von einer Instructionsertheilung abgesehen werde. Die drin-
gende Nothwendigkeit das Ausgleichswerk zu fördern gebietet jedes Hemmniß
sern zu halten. Bezüglich der Oeffentlichkeit der Sitzungen und des Ge-
schäftsverkehrs beider Häuser, deren Präsidenten und Vicepräsidenten Wir
Uns zu ernennen vorbehalten, sowie auch in Betreff der Berechtigung Unserer
Minister und Chefs der Centralstellen an den Berathungen theilzunehmen,
werden die Bestimmungen der Gesetze vom 26. Februar und 31. Juli 1861
maßgebend sein. Da die sechsjährige Wahlperiode für die Landtage schon in
nächster Zeit abläust, und da Wir Unsern Völkern bei einer so hochwichtigen
Aufgabe die erneuerte Ausübung des Wahlrechts gewahrt wissen wollen,
finden Wir Uns bewogen eine Neuwahl der Landtagsmitglieder eintreten zu
lassen. Indem Wir sonach auf den patriotischen opferwilligen Sinn Unserer
Völker zählen, indem Wir erwarten, daß in Würdigung des tiefen Ernstes
der Lage die Einzelinteressen sich willig dem einen großen Zweck unterordnen
werden: das Gesammtreich in seinen Lebensbedingungen zu schirmen — ver-
ordnen Wir nach Anhörung Unseres Ministerraths, wie folgt: Art l. Die
Landtage von Böhmen, Dalmatien, Galizien und Lodomerien mit Krakau,
Oesterreich unter und ober der Enns, Salzburg, Steiermark, Kärnthen, Krain,
Bukowina, Mähren, Schlesien, Tyrol, Vorarlberg, Istrien, Görz und Gra-
diska sind aufgelöst. Art. . Es ist unverzüglich zu Neuwahlen für diese
Landtage zu schreiten. Art. III. Die auf Grund der vollzogenen Neuwahlen
zusammentretenden Landtage, dann der Stadtrath von Triest, find auf den
11. Februar l. J. in ihre gesetzlichen Versammlungsorte einberufen.
Art. IV. Die Miltheilung dieses Unfseres kaiserlichen Patents und die Auf-
sorderung zur Wahl für die außerordentliche Reichsrathsversammlung haben
die alleinigen Gegenstände der Vorlage und beziehungsweise der Wirksamkeit
der einberusenen Landtage und des Stadtraths von Triest zu bilden.
Art. V. Der außerordentliche Reichsrath wird auf den 25. Februar l. J. in
Unsere Haupl= und Residenzstadt Wien einberusen. Art. VI. Die Berathung
der Verfassungsfrage hat den alleinigen Gegenstand der Thätigkeit dieser
außerordentlichen Reichsrathsversammlung zu bilden.
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