Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

270 
Oeslerreich. 
schädigt, was auf die bamit innig verknüpften makeriellen Interessen Aller 
die nachhaltigste Rückwirkung übte. So kam es, daß sich, nach den schweren 
Schicksalsschlägen, die das Reich im vorigen Jahre trasen, so viele patriotische 
Herzen völliger Hoffnungslosigkeit hingaben; daß sich das bange Gefühl der 
Entmuthigung und des Mißtrauens in die Zukunst des Reichs der Gemüther 
bemächtigte und immer weiter greisende Verbreitung fand. Ew. Maj. haben 
in Ihrer Weisheit und Gerechtigkeit durch die Einberufung des Reichsraths 
den verfassungsmäßigen Zustand für die in ihm vertretenen Königreiche und 
Länder wiederhergestellt. Unter solchen Verhältnissen tritt das Abgeordneten- 
haus wieder zusammen; im vollen Bewußtsein der unermeßlich gewachsenen 
Schwierigkeiten der Lage und der überwältigenden Größe der Aufgaben, welche 
der Lösung harren, aber auch im Bewußtsein seiner Pflichten gegen Thron 
und Volk, und durchdrungen ven der Ueberzeugung, daß seine Stärke und 
Krast nur darin liegt, wenn es jederzeit die Anschauungen, Wünsche und 
Bedürsnisse der Bevölkerung unverholen zum Ausdruck bringt. Wir sind 
tief durchdrungen von dem Bewußtsein der Nothwendigkeit rascher Ordnung 
der staatlichen Verhältnisse, durch welche die Sicherstellung des inneren Frie- 
dens im Reiche bedingt ist. In dieser Beziehung ist nunmehr die Wieder- 
herstellung der Verfassung des Königreichs Ungarn Thatsache geworden — 
eine Thatsache, welche die Ordnung der gemeinsamen Angelegenheiten, sowie 
die Auseinandersetzung der finanziellen und volkswirthschaftlichen Beziehungen 
mit den Ländern der ungarischen Krone unausschiebbar macht. Wir müssen 
es lebhaft beklagen, daß die Sistirung der Wirksamkeit des Grundgesetzes 
vom 26. Febr. 1861 der verfassungsmäßigen Vertretung der nichtungarischen 
Königreiche und Länder bisher die Möglichkeit benahm, in Betreff dieser Ord- 
nung und Auseinandersetzung ihre Anschauungen geltend zu machen, und daß 
somit die erwünschte und beiden Theilen gerechte und ersprießliche, keinen 
Theil unverhältnißmäßig belastende Regelung derselben nicht sosort in's Leben 
treten kann. Allein das hochherzige Vertrauen, mit welchem Ew. Maj. der 
legalen Vertretung Ihres Königreichs Ungarn entgegenkamen, berechtigt auch 
uns zu der Hoffnung auf eine glückliche Lösung dieser hochwichtigen Aufgabe, 
und legt uns die Verpflichtung auf, die gebotene Gelegenheit zur Verständi- 
gung über die Ordnung der staatlichen Verhältnisse nach dieser Richtung 
bereitwillig zu benützen. Wenn wir hiebei die Wahrung der Rechte und 
Interessen der von uns vertretenen Königreiche und Länder zur unverbrüch- 
lichen Richtschnur unseres Handelns nehmen werden und nehmen müssen, so 
kann hierin — wir erwarten es mit Zuversicht — kein Hinderniß der Ver- 
ständigung liegen. Denn cine Vereinbarung vermag nur dann, wenn sie auf 
der Anerkennung und Achtung der gegenseitigen Rechte beruht und den gege- 
benen und sich so vielfältig berührenden Interessen Rechnung trägt, jene all- 
seitige Befriedigung hervorzurusen, welche allein die Gewähr festen dauernden 
Bestandes in sich trägt. Die Gefahren, welche beide Theile des Reichs, wenn 
wir uneinig sind, von allen Seiten bedrohen, sowic die Lehren, welche wir 
Alle aus den Erfahrungen der letzten Jahre in reichlichem Maß zu schöpsen 
iu der Lage waren, mahnen ernst und eindringlich alle unter dem Scepter 
Ew. Maj. lebenden Völker dahin zu streben, daß das begonnene Werk in 
solcher Welse glücklich vollendet werde. Die Revision und Ergänzung 
des Grundgesetzes vom 26. Febr. 1861 ist aber auch in anderer Beziehung eine 
unausschiebliche Nothwendigkeit. Das Abgeordnetenhaus fühlt sich verxflichtet 
in ehrfurchtsvoller Osffenheit auszusprechen, daß das allerorts tief erschütterte 
Vertrauen nur dann wieder wachgerufen und gefestigt und das natürliche 
Rechtsgefühl nur dann befriedigt werden könne, wenn die verfassungsmäßizen 
Rechte des Reichsraths mit Bürgschaften gleichen Werths umgeben werden, 
wie jene, deren sich die ungarisae Verfassung erfreut. Die Consolidirung 
der staatlichen Verhältnisse ist durch die sestgewurzelte Ueberzeugung bedingt, 
daß das Verfassungsrecht eine Wahrheit, daß sein Bestand und seine zeltgemäße
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.