Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

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Fortentwicklung gegen jede Anfechtung gesichert seien. Solche Ueberzeugung 
ist aber nicht möglich, wenn nicht hier wie dort unverbrüchlich gilt, daß ohne 
die Zustimmung der Volksvertretung kein Gesetz in's Leben treten kann. 
Eben deßhalb würden wir gegen unsere Pflichten verfehlen, wollten wir ver- 
hehlen, wie schmerzlich es alle Kreise der Bevölkerung empfanden, daß die kais. 
Verordnung vom 28. Dec. 1866, welche das Heeresergänzungsgesetz 
vom 29. Sept. 1858 in seinen wesentlichen Bestimmungen abändert, und so 
überaus tief in alle Lebensverhältnisse eingreift, ohne verfassungsmäßige Zu- 
stimmung der Volksvertretung erlassen wurde, und daß dasselbe auf die Ein- 
sprache des ungarischen Reichstags zwar für Ungarn außer Wirksamkeit trat, 
dagegen die Einsprache anderer Landtage ganz unberücksichtigt und ehne alle 
Wirkung blieb; ja, daß bis jetzt noch nicht einmal erklärt worden ist, jene 
Verordnung werde dem Reichsrath zur verfassungsmäßigen Behandlung vor- 
gelegt werden, was das Haus der Abgeordneten mit aller Zuversicht erwartet. 
Wir begrüßen mit Freude die Zusage der Vorlage in Betreff der Minister- 
verantwortlichkeit. Denn war auch die Verantwortlichkeit der Minister 
im Princip längst anerkannt, so hat sich doch die durch eine solche Anerkennung 
schon begründete bloß moralische Verantwortlichkeit bisher als völlig wirkungs- 
los erwiesen. Nur die gesetzliche Normirung derselben als eine wahrhaftige 
juristische Verantwortlichkeit vermag Beruhigung zu gewähren, daß Vorkomm- 
nisse, welche dem Verfassungsrecht direct zuwiderlaufen, in Hinkunft nicht 
mehr werden eintreten können. Nicht minder sorgfältiger Prüfung werden 
wir die in Aussicht gestellte Vorlage in Betreff einer den constitutionellen 
Anforderungen entsprechenden Modification des &K 13 unterziehen. Wir müssen 
aber unser Befremden darüber aussprechen, daß angesichts der allerh. Willens- 
meinung diese für unser Verfassungsrecht so verhängnißvoll gewordene Be- 
stimmung nicht mehr fortbestehen zu lassen, Ew. Maj. Regierung dennoch bis 
auf die allerjüngste Zeit herab Maßregeln in Gegenständen ergriffen hat, 
welche verfassungsmäßig zu dem Wirkungskreis der Volksvertretung gehören, 
und bei welchen es gar fraglich ist, ob sie auch nur als dringlich und unauf- 
schiebbar sich darstellen lassen. Wir sehen daher den Vorlagen in Betreff 
aller dieser Maßregeln entgegen, indem wir die Erwartung aussprechen 
müssen, daß, soweit es nur immer möglich, mit ihrer weitern Durchführung 
so lange innegehalten werde, bis dem Reichsrath die Gelegenheit geboten 
wurde, sich darüber auszusprechen. Bloß formelle Verfassungsgarantien, mögen 
sie auch noch so umfassend sein, können indessen für sich allein die gerechten 
Erwartungen der Bevölkerung nicht befriedigen. Die Reform der ge- 
sammten Gesetzgebung und Verwaltung im Sinne der Frei- 
heit und des Fortschritts ist ein dringendes Bedürfniß. Es ist Jeder- 
mann einleuchtend, daß fast alle Theile der Instizgesetzgebung umfassender 
Umgestaltung bedürfen, aber nicht minder klar, daß bis dahin, wo deren 
vollständige Durchführung möglich ist, nicht mit der Beseitigung einzelner 
schreiender Gesetzesgebrechen zugewartet werden kann, solche vielmehr im 
Wege der Einzelgesetzgebung bewirkt werden muß. Die politischen Rechte 
der Staatsbürger, und insbesondere das Recht Vereine zu bilden, sich 
zu versammeln und in der Presse frei zu äußern, erfordern alsbaldige 
Regelung im constitutionellen Geist und nach dem Vorbilde der Gesetz- 
gebung in den vorgeschrittenen Staaten. Wir werden gerne bereit sein 
zur Erweiterung der Autonomie der einzelnen Königreiche und Länder 
in jenem allen gerechtfertigten Ansprüchen Rücksicht tragenden Sinne mit- 
zuwirken, welcher sich in den erhabenen Worten Ew. Majestät ausspricht. 
Wir müssen es aber auch als eine unabweisliche Nothwendigkeit bezeichnen, 
daß im Wege der verfassungsmäßigen Gesetzgebung an die Revision des 
Concordats in jenen Bezlehungen geschritten werde, welche in den Bereich 
der Staatsgesetzgebung fsallen. Wir ehren die Unabhängigkeit der Kirche, 
und sind weit entsernt, derselben jemals nahe treten zu wollen. Wir sind
	        
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