Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

Frankreich. 337 
Sich selber überlassen, hält sie sich durch ihre eigne Kraft, durch die Ver- 
ehrung, welche Allen das Oberhaupt der katholischen Kirche einflößt, und 
durch die Ueberwachung, welche die italienische Regierung in loyaler Weise 
an ihren Grenzen handhabt. Allein, wenn demagogische Verschwörungen in 
ihrer Vermessenheit wagen sollten, die weltliche Macht des heiligen Stuhles 
zu bedrohen, so würde Europa, wie ich nicht bezweifle, ein solches Ereigniß, 
das eine so große Verwirrung in der katholischen Welt hervorrufen würde, 
nicht zu Stande kommen lassen. Ich kann mich nur mit Befriedigung über 
meine Beziehungen zu den auswärtigen Mächten aussprechen. Unsere Ver- 
bindungen mit England gestalten sich durch die Uebereinstimmung in unserer 
Politik und durch die Vielseitigkeit unseres Handelsverkehrs mit jedem Tage 
inniger. Preußen sucht Alles zu vermeiden, was unsere nationale Empfind- 
lichkeit erregen könnte und ist in den europäischen Hauptfragen mit uns ein- 
verstanden. Versöhnlichen Sinnes ist Rußland geneigt, im Orient seine 
Politik nicht von der Politik Frankreich's zu trennen. Ebenso ist es mit 
Oesterreich, dessen Größe für das allgemeine Gleichgewicht unembehrlich ist. 
Ein kürzlich abgeschlossener Handelsvertrag hat zwischen den beiden Ländern 
neue Bande geschaffen. Endlich unterhalten Spanien und Italien mit uns 
ein aufrichtiges Einverständniß. So vermag also unter den gegenwärtigen 
Verhältnissen nichts unsere Besorgniß zu erwecken, und ich hege die seste 
Ueberzeugung, daß der Friede nicht gestört werden wird. Gesichert bezüglich 
der Gegenwart, vertrauend in die Zukunft, habe ich geglaubt, daß der Augen- 
blick gekommen ist, unsere Institutionen zu entwickeln. Alle Jahre 
sprachen Sie mir diesen Wunsch aus; aber mit Recht davon überzeugt, daß 
der Fortschritt nur in einem guten Einverständniß zwischen den Regierungs- 
gewalten vollzogen werden darf, hatten Sie, und ich danke Ihnen dafür, Ihr 
Vertrauen in mich gesetzt, über den Augenblick zu entscheiden, an welchem ich 
die Erfüllung Ihrer Wünsche für möglich halten würde. Heute nach fünf- 
zehn Jahren der Ruhe und des Wohlergehns, die wir unsern gemeinsamen 
Bestrebungen und Ihrer tiesen Ergebenheit für die Institutionen des Kaiser- 
reiches verdanken, hat es mir geschienen, daß die Stunde gekommen wäre, 
die liberalen Maßregeln zu ergreifen, welche im Gedanken des Senats und 
in den Bestrebungen des gesetzgebenden Körpers lagen. Ich entspreche somit 
Ihren Erwartungen, und, ohne aus der Conslitution herauszutreten, bringe 
ich Ihnen Gesetze in Vorschlag, welche den politischen Freiheiten neue Ga- 
rantien bieten. Die Nation, welche meinen Bestrebungen Gerechtigkeit wider- 
sahren läßt, und die noch letzthin in Lothringen so rührende Beweise ihrer 
Anhänglichkeit an meine Dynastie gab, wird von diesen neuen Rechten einen 
weisen Gebrauch machen. Mit Recht eifersüchtig auf ihre Ruhe und ihr 
Wohlergehen wird sie fortfahren die gefährlichen Utopien und die Auf- 
reizungen der Parteien mit Verachtung zu bestrafen. Was Sie betrifft, 
meine Herren, deren überwiegende Majorität beständig meinen Muth auf- 
recht erhielt in diesem stets schweren Werke, ein Volk zu regieren, Sie werden 
fortfahren, mit mir die treuen Hüter der wahren Interessen und der Größe 
des Landes zu sein. Diese Interessen legen uns Verpflichtungen auf, die 
wir zu erfüllen wissen werden. Frankreich ist geachtet nach außen, die Armee 
hat ihre Tapferkeit gezeigt; aber da die Bedingungen des Krieges verändert 
sind, erheischen sie die Vermehrung unserer Vertheidigungskräfte, 
und wir müssen uns derartig organisiren, daß wir unverwundbar sind. Der 
Gesetzentwurf, welcher mit der größten Sorgfalt geprüft worden ist, erleichtert 
die Last der Conscription in Friedenszeiten, bietet bedeutende Hilfsquellen in 
Kriegszeiten dar und befriedigt, indem er mit gerechtem Maße die Lasten 
unter Alle vertheilt, das Prinzip der Gleichheit; er hat die ganze Wichtigkeit 
einer Institution und wird, davon bin ich überzeugt, mit Patriotismus an- 
genommen werden. Der Einfluß einer Nation hängt von der Zahl von 
Meuschen ab, die sie unter die Waffen rufen kann. Vergessen Sie nicht, daß 
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