Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

356 Frankreich. 
dem Salzburger Einverständniß gegenüber zu erklären und zu ent- 
schuldigen. 
10. Nov. Frankreich ladet durch Circulardep. sämmtliche größere und 
kleinere Staaten Europas zu einem Congreß über die römische 
Frage ein: 
„Beseelt von den Empfindungen einer loyalen Freundschaft in Rücksicht 
auf Italien und durchdrungen von der Wichtigkeit der Interessen, welche sich 
auf die Sicherheit und Unabhängigkeit des päpstlichen Thrones beziehen, hat 
der Kaiser nie aufgehört, mit lebhafter Betrübniß und beständiger Sorge 
den Antagenismus zu sehen, in welchen die Ereignisse die Regierungen des 
Papstes und Victor Emanuels versetzt haben. Unser höchster Wunsch war 
gewesen, die Möglichkeit eines gulen Einvernehmens zu entdecken und dieses 
Resultat in Betracht zu ziehen. Wir haben keine Anstrengung unterlassen, 
welche eine besonnene Beobachtung der Thatsachen uns an die Hand gab, 
und die Auszählung der Mittel, welche wir angewendet haben, würde eine 
weitläufige sein. Weniger präoccupirt trotzdem zu einem unmittelbaren Re- 
sultat zu gelangen, als aufmerksam darauf nicht durch verfrühte Versuche ein 
Resultat bloßzustellen, welches allein die Zeit fruchtbar machen kann, haben 
wir uns bestrebt, die Agitalionen einerseits und das Mißtrauen andererseits 
zu beschwichtigen, und dieß war die Tendenz des Vertrags vom 15. Sept. 1864. 
Indem wir das Schicksal des Pontificals unter den Schutz des Ehrenworts 
stellten, das Italien Frankreich gegeben, bot diese Thatsache für Rom Sicher- 
heit, der italienischen Regierung dagegen das Mittel, durch die Loyalität 
seiner Haltung die Beunruhigung und das Mißtrauen, welches tief in die 
Gemüther eingedrungen, zu beschwichtigen. Diese voraussichtliche Haltung 
hatte die Bestimmung, vom Augenblick an, wo sie Früchte zu tragen begann, 
die Leidenschaften zu beruhigen, welche unter der Form des Patriolismus immf## 
versucht haben, den Geist des italienischen Volks aus seinen natürlichen 
Bahnen zu lenken, um jene Leidenschaften zu Werkzeugen der Unordnung zu 
mißbrauchen, einer Unordnung, welche die revolutionäre Partei überall mit 
demselben Ziel und mit denselben Mitteln herbeizuführen versucht. Die Er- 
eignisse, welche auf der Halbinsel so eben stattfinden, bringen eine schwere 
Lehre mit sich, und sind von der Art die europäischen Cabinette zu prä- 
occupiren. Wenn die Regierung des Kaisers die mit ihr eingegangenen Con- 
ventionen unverletzt aufrecht erhalten mußte, und wenn sie durch ihre Festig- 
keit den Gefühlen der Mäßigung, welche in Italien die Größe des Landes 
auf nicht chimärischen Grundlagen zu errichten hofsen — neue Stärke ver- 
liehen, so ist das nicht ein Grund um die Aufgabe, welche durch die Er- 
eignisse Frankreich auferlegt war, ausschließlich auf sie allein zurückfallen zu 
lassen. Ihre Anstrengungen müssen, um vollständig wirksam zu sein, in 
hohem Grade von den andern Regierungen getheilt werden, die nicht weniger 
interessirt sind, die Principien der Ordnung und Stabilität in Europa zur 
Geltung zu bringen. Heute existiren die Erwägungen nicht mehr, die zu 
einer andern Zeit den europäischen Cabinetten die Prüfung solcher Fragen 
schwierig machten. Von den Mächten anerkannt, in Frieden mit ihnen und 
nur mit seinen eigenen Bewegungen beschäftigt, kann JItalien nicht eine 
directe Ursache der Unordnung und des Conflicts sein, allein man kann nicht 
läugnen, daß seine und Roms Situation in ernster Weise an die Aufmerk- 
samkeit aller appellirt, weil diese Situation eine Gelegenheit der Verwirrung 
und ein Vorwand des Vorurtheils ist. Dank den Principien, welche in der 
modernen Welt vorherrschend geworden, wird sich keine Regierung freiwillig 
von der Pflicht lossagen, ihren Unterthanen jeder Confession die berechtigte 
Befriedigung, welche der Friede ihres Gewissens fordern kann, zu verschaffen. 
Wir zweifeln daher nicht, daß von diesem Gesichtspunkt aus die europäischen
	        
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