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Rußland.
bedürfte nur geringer Modificationen, um die jetzigen Eintheilungen mit
jenem System in Einklang zu setzen.
„II. Administrative Organisation der Provinzen, Bezirke
und Gemeinden. Das Princip der Autonomie muß als Grundlage für
die administrative Organisatien sämmtlicher Provinzen der europäischen Türkei
anerkannt werden. Jede Provinz, jeder Bezirk, jede Gemeinde würde durch
eingeborene Chefs verwaltet werden, die frei von der Majorität der Stimmen
der Bevölkerung gewählt wären. Der Vorsteher der Gemeinde würde von
einem Gemeinderath unterstützt, der von allen Einwohnern der Gemeinde ge-
wählt würde ohne Unterschied der Herkunft, des Cultus oder der Nationalität.
Dieser Gemeinderath würde die von den Provinzialräthen votirten Steuern
vertheilen und einziehen. Derselbe hätte die Aufgabe, durch von ihm be-
stellte Organe die öffentliche Sicherheit, den Unterhalt der Communalstraßen,
die Primarschulen und andere Institutionen für den Unterricht und die
Wohlthätigkeitspflege zu überwachen. Er würde die Taxen und localen Ab-
gaben votiren. Er würde über die Gemeinde-Miliz verfügen, die unter den
Einwohnern rekrutirt würde und Ordnung und Sicherheit aufrecht zu er-
halten hätte. Die Sandschaks= oder Bezirksräthe wären auf derselben Grund-
lage organisirt und beständen aus Delegirten der Communalräthe unter dem
Präsidium eines Staatsbeamten, welcher der überwiegenden Nationalität des
Bezirks angehören müßte. Delegirte der Bezirke hätten den Generalrath der
Prorinz zu bilden unter dem Vorsitze eines vom Sultan ernannten Gencral--
gouverneurs. Er würde die Angelegenheiten der Provinz mit dem General-
rath derselben leiten und hätte sich den Beschlüssen des letzteren zu unter-
ziehen, außer daß ihm für gewisse wichtigere Fälle freistände, an den Ent-
scheid der h. Pforte zu appelliren. Die orthodoxen und römisch-kath. Bischöfe
wie die Rabbiner und Muftis säßen kraft ihres Amtes im Generalrathe, um
die Interessen ihrer resp. Religionsgenossen zu wahren.
„III. Justizorganisation. Die Justizorganisation der christlichen
Bevölkerungen des osmanischen Reichs hätte ebenfalls auf Grundlage des
Wahlprincips zu erfolgen. Jede Gemeinde würde einen Friedensrichter er-
nennen, der der überwiegenden Nationalität in derselben angehören müßte
und in correctionellen sowie in Civilsachen von einem bestimmten Betrage
zu erkennen hätte bei Streitigkeiten unter Christen. Ein Tribunal erster In-
stanz, dessen Glieder von den Bezirksräthen ernannt würden, bestände für
mehrere Bezirke und erkennte als Appellationsinstanz in Civil= und Crimi-
nalsachen zwischen Christen und auch zwischen Christen und Muselmännern,
wofern die letzteren sich freiwillig der Competenz unterzögen. Ze nach Be-
dürfniß könnten Appellhöfe für eine oder zwei Provinzen ausgestellt werden.
Für gemischte Streitsachen d. h. für solche zwischen Christen und Musel-
männern beständen in jeder Provinz einige gemischte Tribunale, in denen
Christen und Muselmänner in gleicher Anzahl säßen unter dem wechselnden
Vorsitz eines Christen und eines Muselmanns. Jeder Christ, der vor ein ge-
mischtes Tribunal gezogen würde, hätte das Recht, die Anwesenheit eines
Consuls oder fremden Consularagenten zu verlangen, der über eine unparteiische
Rechtspflege zu wachen hätte. Diese Garantie, deren unerläßliche Neth-
wendigkeit die Erfahrung bewiesen hat, könnte mit der Zeit fallen gelassen
werden, sobald die Principien des Rechts im Lande Wurzel gefaßt haben
werden. In den überwiegend muselmännischen Gemeinden und Bezirken
würden Streitsachen zwischen Christen dem nächstgelegenen christlichen Tri-
bunal zufallen. Die Competenz der von den Vorständen der verschiedenen
Religionsgesellschaften präsidirten geistlichen Gerichtshöfe müßte genau be-
grenzt werden. Bloß spezielle Streitsachen zwischen Personen desselben Ritus
könnten durch dieselben abgeurtheilt werden. Die Handelsgerichte wären in
den großen Städten in ihrer bisherigen Form zu erhalten jedoch auf Grund-
lage des Wahlprincips. Die Civil-, Criminal= und Proceßgesetzbücher unter-