Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

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Uebersichi der Ertignisse des Jahrts 1867. 
Frank-— und doch hatten weder Oesterreich noch Frankreich daran gedacht, 
reich. 
sich die Erfindung gleichfalls anzueignen. Erst nach dem Kriege von 
1866 gingen ihnen die Augen darüber auf, was sie bisher hoch- 
müthig verkannt und gering geachtet hatten und entwickelte sich jene 
wahre Wuth, die nun durch Europa raste, das Versäumte nachzu- 
holen, die alten Gewehre mit dem Aufgebot aller Kräfte so schnell 
wie nur immer möglich in gute oder schlechte Hinterlader umzu- 
wandeln und gleichfalls nach preußischem Vorbilde entweder geradezu 
die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, oder wo der Nationalgeist 
sich dazu nicht entschließen konnte, wenigstens die Wehrpflicht bis auf 
die äußerst mögliche Grenze auszudehnen. Frankreich war natürlich 
unter den ersten, die die Frage in die Hand nahmen. Schon An- 
fang Winters 1866 berief der Kaiser eine Commission von Gene- 
ralen, mit der er persönlich den Entwurf einer umfassenden Armee- 
reform ausarbeitete, der dann zunächst an den Staatsrath ging und 
Anfangs 1867 an den gesetzgebenden Körper gelangte, indeß noch 
mehrere Umarbeitungen und Modisicationen erlitt, bevor er in diesem 
im December 1867 zur Berathung und erst Anfangs 1868 zur 
Annahme gelangte. Die Spitze des ganzen Plans, die von Anfang 
feststand, aber sich erst allmälig durch die Verhandlungen der Cem- 
mission des gesetzgebenden Körpers für das Pubkikum herauswickcite, 
ging dahin, die bisherige stehende Armee von 4—450,000 Mann 
mit der Reserve auf 800,000 zu erhöhen und diese ganze Armee 
der Offensive dadurch zur Verfügung zu stellen, daß eine sogenannte 
mobile Nationalgarde ron wiederum 400,000 Mann geschaffen werde, 
die als Landwehr im Kriege die Festungen und Städte zu besetzen 
hätte. Die Kriegsmacht Frankreichs sollte dadurch auch an Zahl 
den Streitkräften Preußens und des norddeutschen Bundes zum min- 
desten gleich gebracht werden, wo möglich sie noch um ctwas über- 
steigen. Da indeß die Franzosen den Militärdienst im Frieden durch- 
aus nicht lieben, so täuschte sich die französische Regierung darüber 
nicht, daß es schwer halten werde, die Vorlage durch den gesetz- 
gebenden Körper trotz der ergebenen Majorität desselben zu bringen 
und daß es zu diesem Ende hin unerläßlich sei, in den ihr zur Ver- 
fügung stehenden Blättern die Kriegsgefahr nie ganz von der Bühne 
verschwinden zu lassen, ohne daß dadurch erwiesen war, daß sie, wenn 
sie sich zum Kriege vorbereitete, denselben auch wirklich beabsichtigte.
	        
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