Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

Uedetficht der Ertignisse des Jahres 1867. 
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schaftlichste Opposition gegen Verfassung und Reichsrath und die we-Ocster- 
nigen Mitglieder der Partei, die in diesen gewählt worden waren, 
weigerten sich, dahin zu gehn. 
Die Wuth der Czechen darüber, daß ihnen die Majorität im 
böhmischen Landtage, die sie Ende Febr. zum ersten und einzigen 
Mal seit 1861 einen Augenblick in Händen gehabt, so schnell wieder 
entschlüpft war, über den Ausgleich mit Ungarn und die dualistische 
— nicht wie sie gehofft hatten, föderalistische — Gestaltung des 
Reichs, mit der sich das deutsche Element unter gewissen Bedingungen 
und Voraussetzungen augenscheinlich zu befreunden begann, kannte 
bald in der That gar keine Grenzen mehr und führte zu einer Er- 
scheinung, die wohl zu den bedeutsamsten des Jahres gehört. Aus 
Haß gegen die Deutschen begannen die Führer der Czechen sich den 
Russen in die Arme zu werfen und setzten um die Mitte Mais 
eine Demonstration in Scene, der sich auch eine Anzahl einflußreicher 
Südslaven und galizischer Ruthenen anschloß. Am 4. Mai war 
nämlich in Moskau eine sog. ethnographische Ausstellung improvisirt 
worden und diese nahmen sie nun zum Vorwand, um in einer ge- 
radezu unerhörten Weise gegen die österreichische Regierung zu demon- 
striren. Etwa 60 an Zahl machten sie sich nach Petersburg und 
Moskau auf und wurden sowohl auf dem Wege dahin als in den 
beiden Capitalen des hl. Rußland von den Russen mit offenen Ar- 
men empfangen und durch öffentliche Bankette gefeiert, in denen zum 
Hohne der österreichischen Regierung eine förmliche Verbrüderung 
zwischen Nußland und den österr. Slaven proclamirt ward. In 
Petersburg wurde die Deputation sogar vom Kaiser in besonderer 
Audienz empfangen. Daß von einem wissenschaftlichen Zwecke irgend 
welcher Art auch nicht entfernt die Rede sein konnte, daß sich dazu 
die Mehrzahl der an der slavischen Deputation theilnehmenden Oester- 
reicher ebenso wenig eignete, als die sog. ethnographische Ausstellung 
in Moskau selbst, lag auf der Hand und wer darüber im Unklaren 
hätte sein können, wurde durch die geradezu zügellose czechische Presse 
hinreichend belehrt, welches der eigentliche Zweck der ganzen Demon- 
stration war. Die Masse der slavischen Völkerschaften Oesterreichs 
wurde durch dieses Auftreten ihrer Führer freilich zunächst nur wenig 
berührt, aber die Thatsache setzte die Gefahr, die Oesterreich und 
Europa unter Umständen von dieser Seite her drohen könnte, in ein 
reich.
	        
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