Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

512 k#cbersicht der Ereigulsse des Jahres 1867. 
England. Verfassung beruht eben in dieser Beziehung noch immer auf der 
Idce der Privilegien und diese Idee wird wohl auch in England 
und zwar zunächst gerade von diesem Punkte aus dem Grundsatze 
der gleichen Berechtigung weichen müssen. Die Consequenzen sind 
aber von kaum zu ermessender Tragweite. England, seit langem 
als der Hort fester, historisch überlieferter Formen gepriesen, geht 
überhaupt einer, wenn nicht alles trügt, tief greifenden Umwandlung 
entgegen und ist sogar ohne gewaltsame Erschütterungen bereits schon 
mitten darin, eine Umwandlung, deren Rückwirkungen auch auf das 
übrige Europa nicht ausbleiben können. 
Es ist ein großer, noch immer herrschender, durch den äußern 
Schein und die hergebrachten Formen verursachter Irrthum, Eng- 
land für eine Monarchie zu halten. Es war dieß dereinst und die 
äußeren Formen sind bis heute mit fast religiöser Treue und Ehr- 
furcht bewahrt worden. In Wahrheit ist jedoch England seit län- 
gerer Zeit keine Monarchie mehr, sondern vielmehr eine Aristokratie 
mit einem monarchischen Elemente, das aber schon vor dreißig Jahren 
entschieden schwächer war, als das aristokratische Element heute noch 
in unsern monarchischen Staaten des Continents ist, vielleicht sogar 
schwächer als das monarchische Element bis auf die allerjüngste Zeit 
in den verein. Staaten Nordamerikas war, obgleich es hier weniger 
beachtet wurde, lediglich weil es der monarchischen Formen, an die 
wir durch die erbliche Monarchie nun einmal gewöhnt sind, aller- 
dings gänzlich entbehrte. In England ist gerade das Umgekehrte 
der Fall. Die monarchischen Formen sind noch vollständig erhalten, 
aber der Inhalt entspricht diesen Formen auch nicht mehr von ferne. 
Die Königin steht unbestritten an der Spitze der Gesellschaft und 
repräsentirt den Staat nach Innen und Außen, aber sie repräsentirt 
eben nur, ihre wirkliche Macht ist eine sehr beschränkte und durch- 
aus nicht die entscheidende. Die wahre Macht ruht entschieden im 
Parlament; das Parlament, d. h. die beiden Häuser zusammen mit 
dem gewissermaßen als Regierungsausschuß aus ihnen hervorgegan- 
genen, von ihnen nach den wechseluden Majoritäten ein= und ab- 
gesetzten Ministerium, ist der eigentliche Souverän des Landes, der 
durch die Krone nur sehr wenig eingeschränkt ist, unendlich weniger, 
als der Monarch irgend eines unserer continentalen Staaten durch 
die Volksvertretung, wie beschränkt auch deren Rechte und Befugnisse
	        
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