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Uebersicht der Ertignisse des Jahrts 1867.
Preußen. der Lage hatte die preuß. Regierung dazu gegriffen, liberale Ten-
denzen hatten sie dabei aber keineswegs geleitet. Um so höher war
es dagegen anzuschlagen, daß sie wenigstens keinerlei Versuch gemacht
hatte, auf die Institution des Reichstags auch noch eine Art preuß.
Herrenhauses zu pfropfen, eine preuß. Institution, die in dieser Zu-
sammensetzung von der öffentlichen Meinung absolut und definitiv
verurtheilt ist, wenn auch noch nicht abzusehn ist, wann und wie
etwas besseres und zweckentsprechenderes an ihre Stelle gesetzt werden
mag. An ein Oberhaus anderer Art, ausschließlich oder wenigstens
zunächst aus den Fürsten der verschiedenen Bundesstaaten bestehend,
mochte die preuß. Regierung wohl gedacht haben, einige Kleinfürsten
wären sogar dazu ausdrücklich nicht ungeneigt gewesen, Preußen
hielt indeß die Lage im allgemeinen dazu noch nicht für reif und
vielleicht mit Recht. Gerade da knüpfen sich aber die Hauptbeden-
ken und Einwürfe an, die gegen die neue Verfassung geltend ge-
macht wurden. Drei Punkte waren es namentlich, auf die sich
dieselben concentrirten. Der erste betraf die unklare zwitterhafte
rechtliche Stellung der neuen Bundesregierung unter dem Prä-
sidium des Königs von Preußen, die sich lediglich in der Person des
Bundeskanzlers darstellte, der dem Reichstage gegenüber bloß mo-
ralisch verantwortlich war, während sich sein Verhältniß zum Bundes-
rathe und den Einzelregierungen einerseits wie zum preuß. Mini-
sterium anderseits nicht bloß jeder Controle, sondern sogar jeder
näheren Einsicht entzog. Nur soviel war klar, daß die eigentliche
Macht, ganz und vollständig, thatsächlich in den Händen Preußens
lag, daß eine Ueberstimmung Preußens im Bundesrathe selbst in
untergeordneten Fragen mehr als unwahrscheinlich schien und daß
Preußen dieß Verhältniß zwischen seinem Staatsministerium und der
Bundesregierung des Bundeskanzlers als eine interne Angelegenheit
betrachtete, deren Ausbildung der weiteren Entwickelung der Dinge über-
lassen bleiben müsse. Wie sehr man nun auch zugeben mochte, daß
die Anschauung der augenblicklichen Sachlage entspreche, so war doch
eben diese unläugbar eine unerquickliche und das Verlangen zum
mindesten ein natürliches, daß die Stellung der Bundesregierung nach
allen Seiten von Anfang an fest und bestimmt abgegrenzt werden
sollte und daß die neue Verfassung nicht annehmbar sei ohne die