Ucbersicht der Ercignisse des Zahres 1867. 549
damit, Italien würde in diesem Fall wohl Freunde finden, die es Jtallen.
nicht fallen ließen. Allein in dieser Berechnung täuschte er sich.
Die französ. Negierung war von Allem, was auf der Halb= Frank-
insel vorging, aufs genaueste unterrichtet und ihre Entschlüsse waren reich.
gefaßt. Nicht daß der Kaiser persönlich nicht von der absoluten
Unhaltbarkeit der gegenwärtigen Zustände im Kirchenstaat und von
der Unhaltbarkeit der weltlichen Herrschaft des Papstes überhaupt,
so wie von der Möglichkeit, sie im Interesse der Unabhängigkeit des
hl. Stuhles und der gesammten kath. Kirche durch andere Ein-
richtungen zu ersetzen, vollständig überzeugt gewesen wäre; eine ganze
Reihe von Thatsachen, von seinem Briefe an Edgar Ney i. J. 1849
bis zu der Vroschüre le pape et le congrès i. J. 1859 und
später, lassen darüber kaum einen Zweifel. Auch das mag er
wohl erwogen haben, daß es vielleicht gerade die Aufgabe einer
wirklich conservativen Politik sein möchte, diese Frage, die nicht
bloß ganz Italien, sondern ganz Europa in Spannung hält, aller-
dings gegen die Wünsche und Vorurtheile des hl. Vaters und gegen
die Wünsche und Vorurtheile der specifisch katholischen Parteien aber
im wahren Interesse des römischen Stuhles selber zur Lösung zu
bringen. Die auswärtige Politik des Kaisers hätte bei einer Lösung
dieser Frage im Sinne der Zeit unter Umständen gar wohl ihre
Rechnung finden können: Italien hätte er dadurch wenigstens für
längere Zeit aufs neue an sich gekettet und selbst aus der peinlichen
Lage, in die er seit 1866 gegenüber Deutschland, aus der isolirten
Stellung, in die er gegenüber Curopa gerathen war, hätte er sich
mittelst derselben möglicher Weise herausreißen und neuerdings an
die Spitze der europäischen Politik und der europäischen Bewegung
schwingen können. All das mag auch vor seinem Geiste vorüber-
gegangen sein, aber all das mußte zurücktreten und trat zurück vor
den nicht zu verkennenden Anforderungen der inneren Lage Frankreichs.
Die auswärtigen Verhältnisse sind keine dauernde, sondern höchstens
eine momentane Stütze der Herrschaft. Die napoleonische Herrschaft
in Frankreich beruht aber vermittelst des allgemeinen Stimmrechts auf
der Zustimmung der Massen, und diese hinwiederum, da die Massen
in Frankreich und zwar hauptsächlich die Landbevölkerung in Wahr-
beit guten Theils noch sehr wenig zurechnungsfähig sind, nicht zum
wenigsten auf der Mitwirkung des Clerus. Im J. 1869 läuft die