Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

Uebersicht der Ertignisse des Zahres 1867. 565 
immerhin bedenklich, wenn die Hoffnung der Nation auf einem ein- Preußen. 
zelnen, wenn auch noch so eminenten Manne beruht, dessen Leben 
in Gottes Hand steht, und der gewissenhafte Vaterlandsfreund wie 
der umsichtige Politiker sehen sich unwillkürlich vor die peinliche Frage 
gestellt: wie dann? Die Nation wird darum das Vertrauen zu sich 
selber nicht verlieren, aber sie kann sich nicht verhehlen, daß ihr Ho- 
rizont sich möglicher Weise plötzlich mit gewitterschwangern Wolken 
überziehen könnte. 
Zunächst waren es freilich nicht derartige Erwägungen, die Zoll- 
sich geltend machten, als, fast gleichzeitig, im Oct. 1867 die Frage 
der Genehmigung der Schutz= und Trutzbündnisse und der neuen Zoll- 
vereinsverträge an die Landtage der südd. Staaten herantrat. In 
Baden stand die Antwort keinen Augenblick im Zweifel. Fürst, 
Landtag und die Majorität der Bevölkerung hatten sich wiederholt 
und aufs entschiedenste im nationalen Interesse ausgesprochen. Um 
so zweifelhafter war dagegen der Ausgang von Anfang an in Würt- 
temberg und gegen Erwartung sogar in Bayern. Zufällig trat das 
letztere in den Vordergrund. Während die bayerische Kammer der 
Abgcordneten die Zollverträge — das Schutz= und Trutzbündniß war 
ihrer Entscheidung verfassungsmäßig entzogen — mit großer Mehr- 
heit genehmigte, machte der Reichsrath Miene dieselben im engsten 
particularistischen Interesse zu verwerfen und vereinigte sich schließlich 
auf die geradezu sublime Idee, die Genehmigung an die Erhaltung 
des alten liberum veto der Zollvereinsmitglieder für Bayern knüpfen 
zu wollen. Allein die Reichsräthe waren in argen Illusionen be- 
fangen, wenn sie glaubten, daß Preußen zu einem so handgreiflichen 
von der öffentlichen Meinung längst verurtheilten Rückschritt die Hand 
bieten werde und noch weniger scheinen sie auch nur eine Idee von 
den mächtigen materiellen Interessen gehabt zu haben, die auf dem 
Spiele standen. Die öffentliche Meinung des Landes selbst klärte 
sie indeß darüber auf. Die ganze Welt der Industrie und der Ge- 
werbe, die Vertreter fast aller größeren, mittleren und selbst kleineren 
Städte überschütteten die hohe Kammer förmlich mit Adressen, Pe- 
titionen und Telegrammen, die die Genehmigung für eine absolute 
Nothwendigkeit erklärten; Preußen lehnte ihre Zumuthung höflich 
aber sehr rund ab und die Abgeordnetenkammer blieb fest. Dem 
Reichsrathe blieb nichis anderes übrig als sich zu fügen. Der Vor-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.