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Türkei.
Uebersicht der Ereignisse des Jahres 1867.
Kern der ganzen neueren Geschichte bildet, der Scheidung der poli-
tischen von den religiösen und kirchlichen Functionen und der Eman-
cipation des Staats von den Satzungen der Religion. Die Unter-
thanen des Sultans, so weit sie Muselmanen sind, mögen sich auch
fortan wie bisher an den Koran als der Quelle religiöser Ueber-
lieferung halten, der Staat muß sich von ihm emancipiren und kann
z. B. die Rechtspflege unmöglich länger auf die höchst unzureichenden
Aussprüche desselben gründen, wenn er den gerechten Anforderungen
aller seiner Angehörigen entsprechen will. Der Sultan selbst hat
sich darüber wiederholt auf's unzweideutigste ausgesprochen und durch
die Ausdehnung des sog. Vilayetsystemes für die Organisation der
Provinzen, durch die Gründung eines neuen Staatsraths aus Christen
und Muselmännern sowie eines obersten Justizrathes und durch die
Aufnahme einer Anzahl Christen selbst in die höchsten Stellen der
Regierung hat das System wenigstens einen kräftigen Anfang er-
halten. Ob es im Stande sein wird, das zerfallende Reich noch zu
Berein.
Staaten.
retten, ist freilich sehr die Frage, aber so viel ist immerhin sicher,
daß, wenn es noch gerettet werden soll, es jedenfalls nur auf dieser
Grundlage und dieser Bahn möglich sein wird.
Die Verein. Staaten Nordamerikas, deren Bedeutung für
Europa bereits eine so gewaltige geworden ist und deren Rückwir-
kung auf dasselbe sichtbar eine immer intensivere wird, traten in
das J. 1867 mit dem großen Erfolge in Mexico. Die Tragweite
des Ereignisses für Europa und für die Stellung des kaiserlichen
Frankreichs innerhalb des europ. Staatensystems, so hoch sie auch
angeschlagen werden muß, verschwindet völlig gegen die ungleich fol-
genschwerere, daß damit der letzte Versuch der romanischen Race ge-
scheitert ist, dem Uebergewicht der germanischen auf dem amerika-
nischen Continent und damit in der außereuropäischen Welt über-
haupt einen Damm entgegen zu setzen. Im Uebrigen war die Union
fast ausschließlich mit der schwierigen Frage einer Reconstruction der
niedergeworfenen Südstaaten beschäftigt. Daß diese nicht in einer
allseitig befriedigenden Weise erfolgte, fällt vornämlich dem Präsi-
denten Johnson zur Last, der die Frage ohne Rücksicht auf die un-
ausweislichen Consequenzen des furchtbaren vierjährigen Bürgerkriegs
und des endlichen Sieges der Nordstaaten lösen wollte und dadurch
diese und den Congreß so zu sagen gewaltsam in eine Bahn drängte,