72 Preußen und der norddeutsche Bund.
fassungen: so meine ich, hat die preußische Regierung allen Anlaß, auch
ihrerseits dem berechtigten Verlongen der liberalen Parteien entgegen zu
kommen und nicht auf Dingen zu bestehen, welche ein= für allemal einem
großen Theile der Bevölkerung, so weit sie politisch in Betracht kommt, un-
annehmbar erscheinen. Sollte hier im Reichstage eine Majorität sich finden,
welche dem Entwurfe, wie er vorliegt, unbedingt zustimmen möchte, so kann
die preußische Regierung sich der Erwägung nicht verschließen, daß die
äußerste Gefahr entstehen würde, daß im preußischen Abgeordnetenhause ein
solcher Entwurf abgelehnt würde, und das würde ich Angeschts der drohenden
politischen Verhällnisse für ein großes Unglück halten. Es würde das bei
dem Beginne der politischen Consolidation Deutschlands sofort einen Stein
des Anstoßes und der Zerrüttung hineinwerfen, welcher die zu erhoffende
Verbindung des deutschen Südens mit uns aufs äußerste gefährden und die
Feinde Preußens offenbar ermuthigen würde, gegen die weitere Consolidation
Preußens und Deutschlands einzutreten in einer Weise, wie sie es schwerlich
wagen würden, wenn die preußische Regierung sich nicht nur auf die Ueber-
einstimmung mit einer unter den Eindrücken der gewaltigen Erfolge Preußens
zusammenberufenen Versammlung, sondern auch mit den Vertretern der
liberalen und nationalen Richtung in ganz Deutschland berufen und stützen
könnte. Ich glaube daher, die Regierung muß in einem solchen Punkte
nachgeben, wo die Nachgiebigkeit ihr die freudige Mitwirkung des preußischen
und deutschen Volkes sichern kann. Und das, meine Herren, ist für mich
der wesentliche Grund, warum ich, trotz aller Bedenken, nicht bloß gegen
einzelne Punkte und Bestimmungen, sondern gegen die ganze Form dieser
undes-Verfassung derselben zustimmen würde, wenn es die Sicherung der
verfassungsmäßigen Rechte in den wesentlichsten Punkten erlaubt, und ich
glaube, daß diese Rücksicht auf die Zustimmung der Liberalen in Deutsch-
land auch die Staats-Regierung veranlassen muß, nicht auf Forderungen zu
bestehen, welche die Verfassung des norddeutschen Bundes denjenigen, welche die
preußische Verfassung ehrlich vertreten wollen, unanehmbar machen würde..
Rede Waldecks (gegen den Entwurf und für volles Budgetrecht wie
für ein verantwortliches Ministerium): ... „Ich habe schon gesagt, es sei
sehr zu wünschen und auch ich wünsche es, daß Etwas zu Stande kommt,
aber mag sich die Regierung die Frage zweimal überlegen, ob nicht, da sie
auf den Widerstand der kleinen Staaten wirklich nicht zu rechnen haben
wird, der correctere Weg zu wählen sei ? Ich weiß nicht, wie dieser Preußen
allein würdige Weg durch Amendements erreicht werden kann. Machen Sie
also durch Unterhandlung mit den Regzierungen einen Bund, eine Central=
Gewalt mit verantwortlichem Ministerium und Sie haben den süddeutschen
Staaten die Thore geöffnet. Ich will nur noch, da ich gegen den Entwurf
eingetragen bin, mich dagegen verwahren, als wäre ich derartigen Einwänden
geneigt, daß man dieses Deutschland zurückweisen müsse, weil man das ganze
nicht erreichen könne. Es ist unzweifelhaft, daß, wenn man Preußen, das
schon so viel Kleinstaaten absorbirt hat, so vergrößert und zugleich seinen
Machtkreis erweitert, man für die deutsche Einheit selbst arbeitet. Ich gebe
auch die Hoffnung auf das ganze Deutschland nicht auf; es wird auch früher
oder später mit dem nothwendigen Zerfall Oesterreichs dazu kommen. In
dem vielen Blute, das in Böhmen und Mähren erst jüngst wieder geflossen,
liegt die berechtigte Forderung, daß auch diese Länder eben so Theile
Deutschlands sind, wie Schlesien. Die Idee des ganzen Deutschlands kann
ich nicht aufgeben, aber um die Träume der Zukunft wollen wir die Gegen-
wart nicht übersehen. Es ist jetzt der Boden der Macht, der die Einigung
des großen Staatslebens herbeigeführt hat, aber wir wollen ihm die Weihe
geben dadurch, daß wir die Verfassung zu einer wahrhaft consiitutionellen
machen und wenn dieses nicht beabsichtigt wird, so kann ich für meine
Person wenigstens die Verfassung in dieser Art nicht annehmen.“