Preußen und der norddeutsche Bund. 89
lung, der sie gerade dienen. Die anderen Gründe dagegen sind mehr all-
gemeiner Natur, und für mich ist der Hauptgrund die Lockerung der Dis-
ciplin in dem Beamtenstande. Je mächtiger die parlamentarischen Einflüsse
auf das Staatsleben zurückwirken, desto nothwendiger ist meines Erachtens
eine straffe Disciplin in dem Beamtenstande. Wir haben in Preußen, wenn
ich hier darauf Bezug nehmen darf, gewisser Maßen zwei Verfassungen augen-
blicklich, die neben elnander laufsen, wir haben die alte Constitution des Ab-
solutismus, die ihre Schutzweht gegen Willkür in der Unabsetzbarkeit der
Beamten sand, und wir haben die moderne constitutionelle Verfassung, die
in sast allen Ländern mit Unabsetzbarkeit der Beamten unverträglich gedacht
wird. Wir — wenn ich sage wir, so meine ich in diesem Augenblick die
preußische Regierung — die Regierung, die handeln, die sich bewegen soll,
fühlt sich gehemmt von allen Seiten, sie kann nicht einmal einen Beamten,
der zwar formell ihren Anordnungen gehorcht, der aber in seinem Geiste nicht
barauf eingeht, sie kann ihn nicht absetzen. Es hat das auch seine großen
Vorzüge. Ich möchte die Integrität des preußischen Beamten, sein Ansehen,
sein Gefühl der Würde, was ihn bei unbedeutender, oft unzulänglicher Be-
soldung über viele Versuchungen hinweghebt, um keinen Preis verloren
geben und möchte lieber die Uebelstände einer gehemmten und genirten Re-
gierung länger tragen, als unbesonnen in diese Schwierigkeiten hinein-
schneiden. Aber gerade weil wir sie nicht beliebig beseitigen können, so be-
dürsen wir aller Mittel, die geeignet sind, eine strenge Disciplin festzuhalten,
und scheuen uns vor allem, was geeignet ist, sie zu lockern. Ich kann nicht
behaupten, daß es im Lande einen günstigen Eindruck macht, ich kann kaum
daran zweiseln, daß es das unbehagliche, das gerechte Gefühl, daß etwas
krank sein müsse im Staate, hervorruft, wenn man erlebt, daß in der
Oeffentlichkeit ein Beamter seinem höchsten Chef gegenüber trilt und ihm
gegenüber in Bezug auf ihn eine Sprache führt, die derselbe Beamte un-
zweifelhaft zu wohl erzogen ist, um sie zu Hause seinem Kanzleidiener gegen-
über zu führen. Das kann ich nicht als eine nützliche Einrichtung ansehen.
Ich gebe gern zu, daß dieses Bedenken sich heben würde, wenn die Clausel
des Zwangsurlaubs nicht in der Verfassung stände, daß eine Regierung durch
die Verfassung gezwungen ist, jenem Beamten, von dem sie voraussetzt, er
wird sie mit Heftigkeit angreifen, hierzu ausdrücklich den Urlaub zu bewilligen.
Ich bin als Minister sehr bereit, mir die stärksten Vorstellungen von einem
Beamten, der von seinem Pflichtgefühle geleitet wird, in einem Schriftstücke
gefallen zu lassen, aber ich würde es schwer ertragen, Minister zu bleiben,
wenn ich genöthigt wäre, in meinem Ressort einen Beamten fortdauernd zu
beschäftigen, der mir öffentlich diejenige Achtung versagt, auf die ich in meiner
Stellung Anspruch mache. Wenn sich für diese Uebelstände eine Abhülfe
nicht vollständig schaffen läßt, so würden die verbündeten Regierungen für
jede partielle Abhülfe, die hier durch Parlamentsbeschluß gewährt würde,
immer noch dankbar sein. In dieser Richtung würde z. B. das Amendement,
das zuletzt eingebracht wurde, welches auf die geisilichen und richterlichen
Beamten den Ausschluß beschränkt, wie ich glaube, sämmtlichen verbündeten
Regierungen annehmbar erscheinen. Wie mir vorschwebt, eristirt der Aus-
schluß der richterlichen Beamten in mehreren fremden Verfassungen. Daß
die Betheiligung an den Parteikämpfen auf die Richter einiger Maßen mehr
zurückwirkt, als mit der unparteilichen Stellung der Richter verträglich ist
(ohl oh! zur Linken), meine Herren, davon habe ich selbst vielfache Beispiele
gehabt; ich will Ihnen nur eines citiren. Ich bin nämlich in den ersten
Jahren meiner Amtsführung einige Male in der Lage gewesen, daß mir
Erkenninisse, die ohne mein Wissen und meine Anregung abgefaßt waren,
wegen Beleidigung des preußischen Minister-Präsidenten zugeschickt wurden,
mit der Frage, ob ich sie veröffentlichen lassen wolle. Ich habe manche
dieser Erkenntnisse gelesen, andere nicht. Im Durchschnitt fand ich, daß