Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zehnter Jahrgang. 1869. (10)

Oesterreich-Augarn. 287 
schwerlich als die Ausführung des erwähnten, an das Gesammtministerium 
gerichteten allerh. Auftrages Eurer Maj. gelten. Aber auch ebenso über- 
raschend war es für die ehrfurchtsvollst unterzeichneten drei Minister, daß die 
erwähnten fünf Minister schon fünf Tage nach der Thronrede sich von dem Pro- 
gramm dieser letzteren loszusagen und Eurer Maj. ein hievon abweichendes 
Programm zur eallerh. Genehmigung vorzulegen für gut fanden. Nach der 
unmaßgeblichen Auffassung der ehrfurchtsvollst unterzeichneten Minister hatte 
die zwischen allen Ministern im Wege des Compromisses vereinbarte und 
von Eurer Maj. allerh. genehmigte Thronrede mindestens bis zu dem Zeit- 
punkte als das Programm der Regierung zu gelten, in welchem der Reichs- 
rath durch seine an Eurer Maj. gerichteten allerunterthänigsten Adressen über 
jenes Programm sein Verdict abgegeben haben würde. Vor diesem Zeitpunkte 
ein mit dem Programm der Thronrede nicht harmonirendes neues Programm 
aufstellen, heißt nach unserer bescheidenen Meinung die Thronrede preisgeben. 
Und insoferne ein solcher, wohl nicht als constitutionell zu bezeichnender Vor- 
gang gar nur von einer Fraction des Ministeriums ausgeht und den Zweck 
hat, noch vor dem Votum der Vertretungskörper über das Programm der 
Thronrede eine Veränderung in der Regierung Eurer Maj. herbeizuführen, 
dürfte der von der Moajorität des Ministeriums gemachte Schritt auch als ein 
mit den herkömmlichen parlamentarischen Uebungen nicht übereinstimmender 
angesehen werden. Wir enthalten uns übrigens, auf die weiteren Unzukömm- 
lichkeiten hinzuweisen, welche der offen erklärte Bruch der Regierung und die 
Preisgebung ihres in der Thronrede vereinbarten provisorischen Programms 
unvermeidlich zur Folge haben müssen. Ein so drastischer Vorgang wie der 
eben beleuchtete wäre wohl nur dann zu rechtfertigen, wenn er zur Abwendung 
dringender Gefahr unvermeidlich erschiene und wenn er zugleich Mittel von 
unzweifelhaft rettender Kraft böte. Aber nicht nur waltet eine solche augen- 
blickliche Gefahr für den Staat, welche zu überstürzend hastiger Aufstellung 
eines neuen Regierungsprogramms nöthigte, nicht ob, sondern es ist auch das 
von den fünf Ministern der Moajorität formulirte Programm nach der An- 
schauung der ehrfurchtsvollst unterzeichneten drei Minister von sehr zweifelhaf- 
tem Werthe. 
„Allerdings könnte man das Programm der fünf Minister der Majorität 
nicht einmal ein neues nennen, wenn es wirklich nur in dem Verharren auf 
„dem bisherigen Wege"“, welchen sie als „den relativ richtigsten“ bezeichnen, 
bestände. Doch nur zu bald werden die eigenen mahnenden Worte: „daß mit 
Beseitelassung aller problematischen oder gefährlichen Projecte“ auf dem bisherigen 
Wege „mit Geduld und Ausdauer weiter zu wandeln sei“, vergessen, und es 
wird ein neuer Weg empfohlen, von welchem mit allem Grunde gesagt werden 
darf, daß er ein „problematischer und gefährlicher sei“. Das Programm der 
Moajorität des Ministeriums befürwortet nämlich eine „Abänderung des 
Wahlmodus für den Reichsrath"“. Wir wollen den Widerspruch nicht allzu 
stark betonen, der darin liegt, daß i in demselben Athemzuge das Beharren auf 
dem bisherigen Wege als das richtigste Regierungsprogramm hingestellt und doch 
gleich darauf eine so eingreifende Verfassungsänderung wie die Wahlreform 
empfohlen wird. Wir wissen auch nicht, was damit gemeint sein soll, wenn 
zur Motivirung dieser Verfassungsänderung mit vielem Nachdrucke gesagt wird: 
„Allerdings eine Aenderung der Verfassung, allein eine auf legalem Wege 
angebahnte“. Denn auch die ehrfurchtsvollst Unterzeichneten haben nie einem 
anderen als dem „legalen“", dem verfassungsmäßigen Wege das Wort geredet. 
„An ein Negierungsprogramm darf man wohl unstreitig die beiden Anfor- 
derungen stellen, daß es bestimmt und ausführbar sei. Wenn nun der 
Schwerpunkt des Programmes der Majorität in der von ihr bevorworteten 
Wahlreform ruht, dann mußte sie die letztere nicht als ein Problem hinstellen, 
das selbst erst zu lösen ist, sondern sie mußte die, mindestens in den wesent- 
lichsten Zügen ausgeführte Wahlreform zum Ausgange ihrer Vorschläge ma-
	        
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