Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zehnter Jahrgang. 1869. (10)

452 Türkei. 
nur für das Verbrechen der Brandstiftung und des Diebstahls), und 10) eine 
solche Organisation der Verwaltung, daß die wahren Volksbedürfnisse befriedigt 
werden können. Das wichtigste nach diesen Forderungen ist der klar ausge- 
sprochene Wunsch der Skuptschtina: daß das Volk im Einverständniß mit der 
Regierung einen Thronfolger für den Fall gesetzlich bestimmen möge, daß 
der Fürst Milan ohne gesetzliche Erben bleiben sollte. Dieser Thronfolger 
soll aus der männlichen Nachkommenschaft der Töchter des Fürsten Milosch 
Obrenowitsch I genommen werden. Somit hätten die ungarischen Barone 
Nikolitsch und in erster Reihe der Baron Theodor Nikolitsch die meiste Aussicht 
auf den serbischen Thron. 
Die Vorlage der Regentschaft wird an eine Commission gewiesen 
und das Elaborat derselben von der Nationalversammlung einstimmig 
angenommen und als neue Verfassung am 11. Juli verkündet. 
Dieselbe anerkennt als wesentlichste Punkte die Gleichheit aller Bürger, 
und-nimmt die Grundsätze der Ministerverantwortlichkeit, Preßfreiheit, Richter- 
unabhängigkeit und Gemeinde-Autonomie an. Die Skuptschtina und der Fürst 
bilden die gesetzgebende Gewalt. Die Abgeordneten werden auf drei Jahre 
gewählt. Der Thron ist in der männlichen Linie der Dynastie Obrenowitsch 
erblich. Der Senat bleibt als berathender Körper. 
2. Juli. Mustapha Fazyl Pascha wird als Demonstration gegen den 
Vicekönig von Aegypten zum Minister ohne Portefeuille ernannt. 
23. „ (Aegypten). Der BVicekönig kehrt plötzlich von Eaux bonnes 
nach Aegypten zurück, wo er am 28. Juli anlangt. 
3. Aug. Note des Großwessiers Aali an den Vicekönig von Aegypten. 
Derselbe präcisirt darin die Forderungen der Pforte gegenüber dem 
Vicekönig, zu denen seine Reise an die europ. Höfe Anlaß gegeben hat: 
„Ew. Hoheit sind bereits alle die Gerüchte und die verschiedenen Auslegun- 
gen bekannt, welche das Hauptziel und der Hauptgegenstand Ihrer Reise nach 
Europa, sei es in der Presse, sei es im Schooße der Cabinete, hervorzurufen 
nicht verfehlt haben. In dem Augenblicke, als diese Gerüchte allenthalben in 
Umlauf kamen, schien uns eine offene und loyale Erklärung das einzige Mittel, 
um alle Schwierigkeiten, welche durch diese Gerüchte entstehen konnten, zu be- 
seitigen. Ich will daher auf Befehl unseres erhabenen Gebieters und bei Gelegen- 
heit der neuerlichen Rückkehr Ew. Hoh. nach Aegypten Ihnen folgendes eröffnen: 
„Das hohe Zutrauen und Wohlwollen Sr. kaiserl. Majestät des Sultans 
gegen Ew. Hoheit sind durch mehr als einen deutlichen und materiellen Beweis 
constatirt, so daß wir nicht nöthig haben, darauf des weitern zurückzukommen. 
In einer Epoche, wo sie sich zwischen politischen Complicationen von hoher 
Wichtigkeit und hohem Ernst befand, hat sich die kaiserliche Regierung nicht 
geweigert, den verschiedenen Bitten Folge zu geben, welche Ew. Hoheit gestellt 
hatte, welche aber in den Augen der Welt keineswegs den Gefühlen der Loya- 
lität zu entsprechen schienen, die unser erhabener Gebieter von Ihnen zu er- 
warten berechtigt war. Dieser Umstand und das sonderbare Verhalten der 
ägyptischen Truppen bei ihrer Ankunft und bei Beginn ihres Aufenthalts in 
Kreta zur Zeit der letzten Insurrection dieser Insel, die Eile, mit welcher man 
bei ihrer Abfahrt zu Werke ging, und mehrere ähnliche Zwischenfälle waren 
von Sr. kaiserlichen Majestät dem Sultan beinahe der Vergessenheit übergeben 
worden; all das lediglich zu dem Zweck, Ew. Hoheit einen neuen Beweis des 
hohen Wohlwollens zu geben, von dem er noch immer gegen Ew. Hoheit er- 
füllt war. Ew. Hoheit könnte also nicht mit gutem Gewissen in Abrede. 
stellen, daß Se. kaiserl. Majestät nicht nur die Fortdauer des bestehenden Ver- 
hältnisses innerhalb bestimmter Grenzen nicht hemmen wollte, sondern sogar 
keine Unterstützung und kein Entgegenkommen in dieser Beziehung gespart hat.
	        
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