Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

152 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 19.) 
wirken auf dem Gebiete internationaler Beziehungen sowohl wie auf dem 
Gebiete des nationalökonomischen Lebens der Völker, und die in alten Zeiten 
Jahrhunderte zum Reifen brauchten, vollziehen sich in wenigen Monden. 
Dadurch sind die Aufgaben für unser deutsches Reich und Volk in mäch- 
tigem Umfange gewachsen und erheischen für mich und Meine Regierung 
ungewöhnliche und schwere Anstrengungen, die nur dann von Erfolg gekrönt 
sein können, wenn einheitlich und fest, den Parteiungen entsagend, die 
Deutschen hinter uns stehen. Es muß dazu aber unser Volk sich entschließen, 
Opfer zu bringen. Vor allem muß es ablegen seine Sucht, das Höchste in 
immer schärfer sich ausprägenden Parteirichtungen zu suchen. Es muß auf- 
hören, die Partei über das Wohl des Ganzen zu stellen. Es muß seine 
alten Erbfehler eindämmen, alles zum Gegenstand ungezügelter Kritik zu 
machen, und es muß vor den Grenzen Halt machen, die ihm seine eigensten, 
vitalsten Interessen ziehen. Denn gerade diese alten politischen Sünden 
rächen sich jetzt schwer an unseren Seeinteressen und unserer Flotte. Wäre 
ihre Verstärkung Mir in den ersten acht Jahren Meiner Regierung trotz 
inständigen Bittens und Warnens nicht beharrlich verweigert worden, wobei 
sogar Hohn und Spott Mir nicht erspart geblieben sind, wie anders würden 
wir dann unseren blühenden Handel und unsere überseeischen Interessen 
fördern können! Doch Meine Hoffnungen, daß der Deutsche sich ermannen 
werde, sind noch nicht geschwunden. Denn groß und mächtig schlägt die 
Liebe in ihm zu seinem Vaterlande. Davon zeugen die Oktoberfeuer, die 
er heute noch auf Bergeshöhen anzündet und mit denen er auch das An- 
denken an die herrliche Gestalt des heut geborenen Kaisers in der Erinnerung 
mitfeiert. Und in der That, einen wundervollen Bau hat Kaiser Friedrich 
mit Seinem großen Vater und dessen großen Paladinen errichten helfen 
und uns als Deutsches Reich hinterlassen. In herrlicher Pracht steht es 
da, ersehnt von unseren Vätern und besungen von unseren Dichtern! Nun, 
wohlan, statt wie bisher in ödem Zank sich darüber zu streiten, wie die 
einzelnen Kammern, Säle, Abteilungen dieses Gebäudes aussehen oder ein- 
gerichtet werden sollen, möge unser Volk in idealer Begeisterung, wie die 
Oktoberfeuer auflodernd, seinem idealen zweiten Kaiser nachstreben und vor 
allem an dem schönen Bau sich freuen und ihn schützen helfen. Stolz auf 
seine Größe, bewußt seines inneren Wertes, einen jeden fremden Staat in 
seiner Entwickelung achtend, die Opfer, die seine Weltmachtstellung verlangt, 
mit Freuden bringend, dem Parteigeist entsagend, einheitlich und geschlossen 
hinter seinen Fürsten und seinem Kaiser stehend, so wird unser deutsches 
Volk auch den Hansastädten ihr großes Werk zum Wohle unseres Vater- 
landes fördern helfen. Das ist Mein Wunsch zum heutigen Tage, mit dem 
Ich Mein Glas erhebe auf das Wohl Hamburgs.“ 
19. Oktober. (Charlottenburg.) Die technische Hochschule 
feiert das Jubiläum ihres hundertjährigen Bestehens. Der Kaiser 
verleiht den technischen Hochschulen das Recht, den Doktortitel 
(Dr.-Ing.) zu verleihen. Bei der Feier hält der Kaiser fol- 
gende Rede: 
„An dem heutigen festlichen Tage gedenke Ich lebhaft der Feier, 
durch die Mein in in Gott ruhendere Herr Großvater, des Kaisers Wilhelm 
des Großen Majestät, vor 15 Jahrn diesem Hause die Weihe gegeben hat. 
Wenn der unvergeßliche Herrscher damals die Hoffnung aussprach, daß dem 
herrlichen Schmuck, welcher dem Bau im Innern wie im Aeußern zu teil 
geworden ist, das geistige Leben entsprechen werde, welches sich darin ent- 
wickeln solle, wenn er im besonderen dem Wunsche Ausdruck gab, daß
	        
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