Die dentsche Politik bis Juli 1870. 509.
Volk, sein Recht auf's Dasein als Nation, sein Recht auf die größte seiner
Errungenschaften, die Freiheit der Gewissen.
In dem kampfglühenden Heere, das sich in den letzten Tagen des
Juli aus Norden, Osten und Süden Deutschlands nach dem Rheine in
Bewegung setzte, war die deutsche Cultur unter Waffen getreten. Sie
war's, die triumphirt hat in dem mörderischen Kampf wider ein gott= und
ehrvergessenes Despotenthum, und sie ist's, die triumphiren wird im Kampfe
der Geister wider ein vom Fanatismus der Selbstüberhebung trunkenes
Priesterthum.
Die deutsche Politik bis Juli 1870.
Im Jahr 1866 war über Deutschland die erste große Revolution
gekommen, die sich nicht im Sande verlaufen, die nicht zu einer Reaction.
der Erschlaffung auf der einen, der Gewaltthat auf der anderen Seite ge-
führt. „Arbeiten wir rasch; setzen wir Deutschland in den Sattel, reiten
wird es schon selber können.“ So sagte Graf Vismarck am 14. März
1867 dem Reichstag bei Gründung des norddeutschen Bundes, und dies
geflügelte Wort hat sich glänzend bewährt. Das neue Gemeinwesen war
unvollkommen nach Innen, unfertig nach Außen. Die Männer der Schule
stritten sich über den Namen, den sie ihm geben sollten, denn es paßte in
keine der hergebrachten Rubriken; die Besiegten von 1866 jammerten über
die Mainlinie, die angebliche Zerreißung eines Deutschlands, das doch nie-
mals eine Einheit gewesen war. Die Nation aber in ihrer Masse fühlte
mit freudigem Stolze, daß sie das starke, wetterharte Obdach einer Macht
gewonnen habe, die die Vorbedingung ihrer politischen Wiedergeburt und
die sichere Bürgschaft der glücklichen Vollendung des deutschen Staates
biete, und wem der armselige Zank in der Heimath den frischen Aufblick
zu der großen Gegenwart verkümmerte, der erquickte sich an dem Jubel,
mit dem unsere Landsleute draußen, jenseits der Meere, das neue schwarz-
weiß-rothe Banner begrüßten als das Sinnbild der weltgeschichtlichen That-
sache, daß der Deutsche nicht mehr rechtlos, nicht mehr das Aschenbrödel
sei auf der großen Rennbahn der Nationen. Inmitten des Kleinmuths
der Einen, des Unmuths der Anderen begann sofort nach Gründung des
norddeutschen Bundes auf dem Reichstag, den Einzellandtagen, dem Zoll-
parlament eine Gesetzgebungsarbeit, die in drei Jahren fruchtbarer war
an ausgezeichneten nationalen Schöpfungen, als die gesammte Lebensdauer
der Bundespolitik von 1815—1866.